Gipfel auf der „Garibaldi“: Suche nach einer Vision für Europa
Ventotene (dpa) — Blauer Himmel, blaues Meer, dahinter liegt malerisch die Mittelmeerinsel Ventotene. Die Sonne taucht sie in ein sanftes Licht. Zumindest aus der Sicht von Italiens Regierungschef Matteo Renzi hat sich die „Operation Ventotene“ gelohnt.
Es gab schöne Bilder von ihm neben der mächtigsten Frau der Welt, Kanzlerin Angela Merkel, und neben Frankreichs Präsidenten François Hollande.
Alle drei warben bei dem Dreiergipfel auf einem Flugzeugträger vor der italienischen Insel für die Werte und die Idee Europas. Nach dem Nein der Briten zur EU brauche es „neue Impulse“, sind sie sich einig. Man wolle sich nicht entmutigen lassen. Eine konkrete Lösung, wie die EU aus der Post-Brexit-Krise findet, hatten sie bei dem kurzen Treffen aber auch nicht parat. „Niemand glaubt, dass die Probleme Europas mit einem Fingerschnippen zu lösen sind“, sagte Renzi.
Für den bestens inszenierten Gipfel wurde extra das Kriegsschiff „Giuseppe Garibaldi“ angefahren, das normalerweise im Rahmen der „Operation Sophia“ vor der libyschen Küste Menschenschlepper aufspüren soll und Flüchtlinge aufnimmt. Merkel dankte Renzi für den „symbolträchtigen Arbeitsbesuch“. Symbolträchtig auch deshalb, weil auf der Insel im Zweiten Weltkrieg politische Gefangene weggesperrt waren. Hier schrieb 1941 der italienische Antifaschist Altiero Spinelli mit anderen das „Manifest von Ventotene“ — das als Vision eines vereinten Europas gilt.
Die Staats- und Regierungschefs besuchten das Grab Spinellis auf der Insel und legten Blumen in den EU-Farben Blau und Gelb nieder. Dann flogen sie per Hubschrauber auf die „Garibaldi“, wenig später ging es zum Dinner an Bord.
Wer kann in so kurzer Zeit schon eine neue Idee für Europa entwerfen? Kann eine große Idee wiederbelebt werden zwischen Hubschrauberflügen, einem Besuch an einem Grab und einem Abendessen auf einem Militärschiff? Eher nicht. Wichtig scheinen Bilder und Symbole.
Alle drei sprachen von einem Fahrplan mit drei Punkten: Sicherheit und Verteidigung angesichts von Terrorgefahren zu verbessern und den Grenzschutz stärker zu koordinieren, die Wirtschaft anzukurbeln und der Jugend mit Austauschprogrammen wie Erasmus die Vorzüge der Union zu zeigen. Renzi lobte Merkel ausgiebig für ihre Flüchtlingspolitik.
Aber auch wenn die drei Einigkeit demonstrierten: Jeder verfolgt eine eigene, innenpolitische Agenda. In Deutschland und Frankreich wird im Herbst beziehungsweise Frühjahr kommenden Jahres gewählt. Renzi befindet sich vor einem wichtigen Verfassungsreferendum sowieso im Dauerwahlkampf.
Merkels „Wir schaffen das“-Flüchtlingspolitik wird in Deutschland zunehmend skeptisch gesehen und verschafft rechten Parteien wie der AfD Zulauf. Die Anschläge in Ansbach und Würzburg haben auch die Deutschen verunsichert, während das Sterben der Flüchtlinge auf dem Mittelmeer weitergeht.
Hollande plagen schon lange katastrophale Umfragewerte. Vor allem die nach wie vor hohe Arbeitslosigkeit wird ihm vorgehalten, zugleich stießen seine Wirtschaftsreformen immer wieder auf heftigen Widerstand. Auch angesichts der beispiellosen Terrorserie haben viele Franzosen kein Vertrauen mehr in seine Politik. Und von rechts setzt ihm die Front National zu, die den Brexit gerne zur Blaupause für einen „Frexit“ machen würde - auch deshalb zeigt Hollande nach dem Votum der Briten demonstrativ Initiative für einen „neuen Impuls für Europa“.
Der Gastgeber Renzi sieht Rom seit dem Abgang der Briten wieder in der Führungsetage der EU. „Italien ist wieder in der Spitzengruppe der EU angekommen“, sagte er vor dem Gipfel. Er will sein Land nicht mehr als „kranken Mann Europas“ sehen, auch wenn die Bankenkrise bedrohlich schwelt und die Wirtschaft nicht in Gang kommen will. Renzi will von Brüssel mehr Flexibilität und die Erlaubnis, mehr öffentliche Gelder auszugeben, um die Konjunktur anzukurbeln.
Die Themen werden alle am 16. September beim Gipfel der 27 verbleibenden EU-Staaten in Bratislava auf den Tisch kommen. Und Renzi kann sich in einer Woche wieder vor den Kameras mit Merkel zeigen. Am 31. August wird die Kanzlerin im italienischen Maranello erwartet. Am Sitz des Autobauers Ferrari überwiegt dann wieder eine andere Symbolik: Highspeed statt Tanker. Europa muss Gas geben, um aus der Krise zu finden.