Koalitionsgespräche Groko: Verhandlungsstart mit mulmigen Gefühlen

Berlin (dpa) - Jetzt geht es also los. So richtig. An diesem Freitag starten CDU, CSU und SPD mit Koalitionsverhandlungen, um der Republik eine neue Regierung zu bescheren - geschlagene vier Monate nach der Wahl.

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Aufbruchstimmung mag sich nicht so recht einstellen.

Viele gehen mit einem mulmigen Gefühl in die Verhandlungen, insbesondere bei der SPD. Die Genossen haben harte Tage und Wochen hinter sich - und nun noch härtere vor sich. Was übrig bleiben wird von der Partei und ihrer Führungsriege - und ob Deutschland in ein paar Wochen tatsächlich eine neue Regierung hat, ist ungewiss. Auch für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist das eine beunruhigende Ausgangslage.

Die SPD-Führung startet leicht traumatisiert in die Gespräche. Beim Parteitag in Bonn am vergangenen Sonntag sagte nur eine hauchdünne Mehrheit Ja zu Koalitionsverhandlungen mit der Union. Eine Demütigung für Parteichef Martin Schulz und seine Führungsmannschaft. Wie lässt sich eine derart zerrissene Partei einen? Wie stellt man sich in einem solchen Zustand für Koalitionsverhandlungen auf? Und vor allem: Wie lässt sich der SPD-Mitgliederentscheid überstehen, dessen Ausgang über einen Koalitionsvertrag seit Bonn unberechenbarer ist denn je?

Um über diese Fragen zu beraten, hat Schulz die Parteispitze, die Ministerpräsidenten, Bundesminister und die Mitglieder des Sondierungsteams in der SPD-Zentrale zusammengetrommelt. Hinter verschlossenen Türen beraten die Genossen über Strategien, legen Verhandlungsteams und Abläufe fest. Es geht aber auch um das sozialdemokratische Gemüt und um den dringenden Versuch, den Laden irgendwie zusammenzuhalten. „Teambuilding“ nennt das ein Genosse beim Reingehen ins Willy-Brandt-Haus.

Bis in den Abend beraten die SPD-Oberen dort. Keiner hat ein Interesse daran, dass es nach außen hin so aussieht, als ginge die SPD hastig in die Verhandlungen. Das käme bei der Basis schlecht an. Es muss schon nach einem Ringen aussehen, nach einer hinreichend schmerzhaften Angelegenheit. Das gilt für das Vorbereitungstreffen, aber auch für die eigentlichen Verhandlungen.

Bei der Bildung einer stabilen Regierung gehe „Sorgfalt vor Schnelligkeit“, sagt Schulz, als er das weitere Vorgehen verkündet: die Abfolge von verschiedenen Formaten in den nächsten Tagen - mal nur die Parteichefs, mal kleine, mal große Runden, zwischendurch immer wieder Arbeitsgruppensitzungen. „Wir werden deshalb in den nächsten zwei Wochen sicher zügig verhandeln, aber ohne dass wir uns in irgendeine Hektik stürzen.“

Das kollidiert mit ziemlicher Ungeduld der Union, die es - bei ihrem Anlauf Nummer zwei nach vergeblichen Jamaika-Wochen mit FDP und Grünen - nun eilig hat. Mit Verhandeln fertig werden möge man doch bitteschön bis zum Karneval. Soll heißen: bis Weiberfastnacht am 8. Februar. Unionsfraktionschef Volker Kauer (CDU) schwant schon, sonst werde die stockende GroKo „Thema bei allen Fastnachtsveranstaltungen - da schneiden wir granatenmäßig schlecht ab.“ Und überhaupt: Wie kämen TV-Bilder schunkelnder Noch-Nicht-Koalitionäre bei den Bürgern an?

Die SPD will sich aber nicht drängeln lassen. Die Uneinigkeit beim Zeitplan ist ein Vorgeschmack auf das, was an inhaltlichen Auseinandersetzungen noch folgen dürfte. Die Gespräche versprechen, schwierig zu werden - nicht zuletzt wegen der Forderungen, die der SPD-Parteitag den eigenen Unterhändlern mit auf den Weg gegeben hat. Da geht es um Flüchtlinge, Arbeitsmarkt und das Gesundheitswesen. Trotz sachter Kompromisssignale aus der CDU - ein Selbstläufer wird das nicht. Auch andere neue Themen, die im 28-seitigen Papier zum Ergebnis der Sondierungen fehlen, könnten noch für Streit sorgen.

Nebenbei muss Schulz verhindern, dass ihm die eigene Partei entgleitet. Und versuchen, Jusos und andere vehemente GroKo-Gegner in der eigenen Partei zu besänftigen, die weiter trommeln und sogar dafür werben, kurzzeitig in die Partei einzutreten, nur um beim Mitgliederentscheid gegen eine weiter GroKo zu votieren.

Verkehrte Welt also bei der SPD: Die Aussicht aufs Regieren plagt die Partei. Der Eintritt neuer Parteimitglieder hat für die SPD-Spitze plötzlich etwas Bedrohliches. Und mit manchem Unionspolitiker scheint die SPD-Führung dieser Tage einiger als mit dem einen oder anderen GroKo-Gegner in den eigenen Reihen.

Schulz ist schwer angeschlagen. Nach dem Votum von Bonn ist kaum denkbar, dass er sich auf lange Sicht an der Parteispitze halten kann. Legt er am Ende der Koalitionsverhandlungen ein Ergebnis vor, das bei den Mitgliedern durchfällt, wäre er wohl sofort weg. Der Rest der SPD-Führung auch. Bricht die SPD die Verhandlungen vorzeitig wegen unüberbrückbarer Differenzen ab, droht ein weiterer Absturz der Partei. Alles keine angenehmen Perspektiven.

Hinzu kommt die Debatte um Schulz' Rolle: die Frage, ob er ins Kabinett gehen soll oder nicht. Der SPD-Chef hat das vor der Wahl ausgeschlossen. Die Lage ist für Schulz also denkbar unbequem.

Aber nicht nur für ihn. Für Merkel geht es darum, allmählich die Kurve zu kriegen. Und zwar dringend. Vor allem auf der wichtigen europäischen Bühne sind ihr als nur geschäftsführender Kanzlerin die Hände gebunden. Klare Ansagen - etwa zu Initiativen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron - muss sie bis auf weiteres schuldig bleiben. Erst am Mittwoch ließ sich Merkel wieder mal beim Weltwirtschaftsforum in Davos blicken. Auch um zu zeigen: Deutschland ist noch da, auf der Weltbühne.

Selten standen Möchtegern-Koalitionäre zum Start ihrer Verhandlungen unter solch einem Druck. Die Erschöpfung ist groß, bevor es überhaupt angefangen hat.