Grüner Flügelschlag
Berlin (dpa) - Ist schon wieder 2012? Ein Jahr vor der Bundestagswahl, und die Grünen streiten über Schwarz-Grün. Realos und Parteilinke beharken sich über Soziale Netzwerke und Medien. Für ein Zweierbündnis von SPD und Grünen sieht es in Umfragen nicht gut aus.
Alles schon mal da gewesen. Oder?
Nicht ganz. Vor der Bundestagswahl 2013 konnte man auf Rot-Grün noch hoffen. Die Alternative jetzt heißt Rot-Rot-Grün mit SPD und Linken. Es gab damals zwar schon einen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg, er führte aber noch keine grün-schwarze Koalition. Vor vier Jahren bekannten sich letztlich alle Spitzengrünen zu Rot-Grün - und landeten mit 8,4 Prozent in der Opposition. Sondierungsgespräche mit der Union scheiterten.
Diese Woche ziehen sich erst der grüne Bundesvorstand in Neustrelitz, dann die Bundestagsfraktion in Berlin zur Klausur zurück. Die Themen, offiziell: Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern, Vorbereitung der Urwahl der Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl, ländlicher Raum und Rechtsextremismus (Vorstand), Soziales Wohnen, innere Sicherheit und Spaltung der Gesellschaft (Fraktion).
Kaum vorstellbar allerdings, dass die Koalitions-Kabbeleien nicht zur Sprache kommen. Vor allem im Bundesvorstand, schließlich hat Parteichefin Simone Peter sich über Twitter eingemischt und Kretschmann in Sachen Schwarz-Grün direkt widersprochen.
Steht die Partei vor einer Zerreißprobe, weil der erfolgreichste Grüne im Südwesten die Parteilinken zu sehr provoziert? Noch nicht. Flügelstreit gehört bei ihnen schließlich schon immer dazu - „uns würde doch sonst was fehlen“, sagt eine Abgeordnete zwinkernd. Dass Partei-Urgestein Hans-Christian Ströbele twittert, „Parteifreund Winfried“ scheine „etwas abzuheben“, ist vergleichsweise harmlos.
„Parteiinterne Debatten führe ich selten öffentlich, sondern versuche, sie parteiintern zu lösen“ sagt dazu Peters Amtskollege Cem Özdemir, Realo-Vertreter, der Deutschen Presse-Agentur. Und: „In der Frage gibt es eigentlich keinen Streit.“ Was im Bund passiere, werde im Bund entschieden, und zwar erst, wenn es soweit sei. „Bis dahin fließt noch viel Wasser den Neckar und die Spree runter.“
Damit hält er sich streng ans offizielle Wahlkampf-Mantra: Wir Grünen sind eigenständig, kämpfen nur für uns und schauen dann, wie es inhaltlich passt - in alle Richtungen.
Apropos Inhalt. Kommen über Koalitionsfragen die anderen Themen zu kurz in den Medien? „Das liegt ja auch ein bisschen an uns, worüber wir selber reden“, sagt Özdemir. In ein paar Tagen dürfte das Rennen um die Spitzenkandidatur spannender werden. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt gilt als gesetzt, um den Männerplatz kämpfen neben Özdemir Fraktionschef Anton Hofreiter und Schleswig-Holsteins Vize-Ministerpräsident Robert Habeck.
Das Flügelthema ist damit natürlich nicht vom Tisch, es dürfte sich sogar zuspitzen. Schließlich ist Göring-Eckardt Realo, Özdemir auch, Hofreiter Linker, Habeck zwar Realo, aber nicht so sehr.
Und dann gibt es ja auch noch das zweite Lieblingsthema neben Koalitionen: die Vermögensteuer. Nicht nur die Parteichefs haben sich als Flügelvertreter inzwischen so klar dafür beziehungsweise dagegen positioniert, dass es zwangsläufig Gewinner und Verlierer geben muss. Das Thema ist ideologisch aufgeladen, eine Arbeitsgruppe kam über zwei Jahre zu keiner Lösung. Bis zum Parteitag im November soll eine her. Das kann noch spannend werden.