Hintergrund: Al-Dschasira: Die unfrisierte Stimme Arabiens
Kairo/Berlin (dpa) - Wohl kein anderes Massenmedium hat die arabische Welt so verändert wie der über Satellit ausgestrahlte Nachrichtenkanal Al-Dschasira.
Der 1996 im Golfemirat Katar gegründete Sender durchbrach als erster das Nachrichtenmonopol der regionalen Könige, Autokraten und Despoten. Die von ihren Propagandisten sorgfältig kontrollierten staatlichen Fernsehanstalten stehen bis heute im Dienste einer öden Hofberichterstattung. Al-Dschasira („Die Insel“) - und andere, später gegründete arabische Nachrichtenkanäle - bereiten hingegen das aktuelle Geschehen zeitgemäß, aktuell und durchaus auch kontrovers auf.
Mit bis zu 50 Millionen Sehern ist der Sender aus Katar unangefochtener Marktführer. Seine Macher definieren ihn gerne als „Stimme der arabischen Straße“. Tatsächlich folgt die redaktionelle Linie dem politischen Empfinden der meisten Menschen in der Region. Breit und ausführlich wird über das Los der Palästinenser unter israelischer Besatzung berichtet. Grundsätzlich ist aber der Sender, der über ein engmaschiges Korrespondentennetz verfügt, überall dort, wo sich Dramatisches abspielt. Und da wird die Kamera ungeschminkt draufgehalten, wie jetzt in Ägypten, wo sich das Volk gegen das Mubarak-Regime zu erheben versucht.
Bei den Herrschern der Region ist der Sender wegen seiner unfrisierten Berichterstattung verhasst. Immer wieder werden Al-Dschasira-Büros geschlossen, Al-Dschasira-Reporter von Sicherheitskräften getötet oder misshandelt. Im offiziellen Westen misstraut man der anti-israelischen Schlagseite des Senders. Auch dass dort Bekennerbotschaften der Al-Kaida auftauchen, missbilligt man. Aber auch die Islamisten werden des Senders nicht froh: In den frischen und temperamentvollen Diskussionsprogrammen kommen selbst explizite Islam-Kritiker oder Vertreter Israels zu Wort.
Der umstrittene Sender ist zwar bei vielen Themen objektiver als andere arabische Medien. Er mischt gelegentlich jedoch auch selbst politisch mit. So vermuteten unabhängige Beobachter, die jüngste Veröffentlichung von Geheimdokumenten über die palästinensisch-israelischen Friedensverhandlungen habe vor allem das Ziel verfolgt, dem ohnehin dahinsiechenden Friedensprozess den letzten tödlichen Stoß zu versetzen. Und dass die Redaktion den Begriff Terrorismus auch dann konsequent vermeidet, wenn es sich um Anschläge auf Zivilisten handelt, wird von einigen arabischen Kollegen kritisiert.