Hintergrund: Fiskalpakt und ESM - das letzte Wort hat Karlsruhe
Berlin (dpa) - Bundestag und Bundesrat werden an diesem Freitagabend aller Wahrscheinlichkeit nach dem europäischen Fiskalpakt für Haushaltsdisziplin und dem dauerhaften Rettungsschirm ESM mit Zwei-Drittel-Mehrheit zustimmen.
Das letzte Wort hat dann das Bundesverfassungsgericht. Die Karlsruher Richter müssen über mehrere Klagen entscheiden.
Wer klagt?
Die Linksfraktion im Bundestag will eine Organklage gegen ESM und Fiskalpakt einreichen. Daneben wird es gleichlautende Verfassungsbeschwerden aller 76 Abgeordneten geben. Auch die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) will gemeinsam mit dem Verein „Mehr Demokratie“ gegen die Ratifizierung vorgehen, ebenso eine Gruppe von Klägern um den emeritierten Nürnberger Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider. Der CSU-Politiker Peter Gauweiler hat nach Angaben des Gerichts bereits einen Klageentwurf vorab eingereicht. Außerdem lag am Donnerstag bereits die Verfassungsbeschwerde eines einzelnen Bürgers vor.
Wogegen richten sich die Kläger?
In den Klagen der Linken geht es im Wesentlichen darum, dass das Haushaltsrecht des Bundestags beeinträchtigt wird. Die Budgethoheit werde teilweise auf die europäische Ebene verlagert. Der Bundestag habe auch keinerlei Möglichkeit, aus dem Fiskalpakt wieder auszusteigen. Es werde damit ein neues, unabänderliches Recht geschaffen, argumentiert die Linke. Die Einzelheiten will Fraktionschef Gregor Gysi am Samstag zusammen mit den beiden Prozessbevollmächtigten vorstellen. Zu beiden Klagen wird es Anträge auf einstweilige Anordnung geben, mit der die Ratifizierung der Verträge bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache gestoppt werden soll.
Die anderen Kläger kritisieren unter anderem, dass mit dem ESM eine „quasi bundesstaatliche Haftungsgemeinschaft“ der Euro-Länder entstehe. Deshalb seien die Grenzen der Europäischen Integration, die das Verfassungsgericht in der Entscheidung zum EU-Vertrag von Lissabon gesteckt hatte, überschritten.
Wann werden die Klagen eingereicht und wie lange kann es bis zu einer Entscheidung dauern?
Die Linke will ihre Klagen unmittelbar nach den Abstimmungen per Fax nach Karlsruhe schicken, gleichzeitig wird ein Kurier losgeschickt. Die Kläger um den Staatsrechts-Professor Schachtschneider wollen ihre Antragsschrift am Samstag persönlich bei Gericht einreichen - eher eine symbolische Aktion: Vorab wollen sie schon am Freitag ein Fax schicken.
Das Verfassungsgericht hat Bundespräsident Joachim Gauck bereits gebeten, die Ratifizierungs-Gesetze zunächst nicht zu unterzeichnen. Mit einer Entscheidung über die einstweiligen Anordnungen rechnet man bei Gericht „innerhalb weniger Wochen“. Anschließend stünde eine Entscheidung in der Hauptsache an. Das eigentlich für den 1. Juli geplante Inkrafttreten des ESM verschiebt sich also auf jeden Fall.
Was passiert, wenn die Klagen Erfolg haben?
Im Eilverfahren trifft das Gericht nur eine einstweilige Anordnung. Das heißt, es könnte die Ratifizierung der Verträge aufschieben. Bei einer Hauptsacheentscheidung sind verschiedene Möglichkeiten denkbar: Sollten die Richter davon ausgehen, dass ESM und Fiskalpakt - oder ein Teil der Maßnahmen - die Grenzen dessen überschreiten, was unter dem Grundgesetz überhaupt möglich ist, könnten sie die jeweiligen Zustimmungsgesetze für nichtig erklären. Es wäre dann Sache der Politik, gegebenenfalls das Volk über ein neues, geändertes Grundgesetz abstimmen zu lassen. Denkbar ist auch, dass die Richter zusätzliche Sicherungen fordern - etwa eine weitergehende Beteiligung des Parlaments bei Einzelentscheidungen. Wahrscheinlicher scheint Experten aber eine „Bis-hierher-und-nicht-weiter-Entscheidung“: Dies würde bedeuten, dass Deutschland nach dem ESM keine zusätzlichen Risiken mehr übernehmen dürfte.