Berlinale Ildikó Enyedi: Emotionale Achterbahnfahrt mit dem Publikum

Berlin (dpa) - Die ungarische Filmemacherin Ildikó Enyedi ist bei der Berlinale für ihren poetischen Liebesfilm „Körper und Seele“ („Teströl és lélekröl“) mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet worden.

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Nach der Preisverleihung sagte die 61-Jährige der Deutschen Presse-Agentur, was ihr bei der Geschichte besonders am Herzen liegt.

Frage: Können wir Deutsch reden?

Antwort: Ich kann verstehen, aber mein Deutsch ist ein Babydeutsch, das reicht nicht. (weiter auf Englisch)

Frage: Aber Sie haben doch hier gelebt?

Antwort: Nein, mein Mann ist Deutscher. Er kommt aus Nordrhein-Westfalen, aus dem Sauerland, und wir sind ziemlich oft in seinem Heimatort. Und ich war 2005 ein halbes Jahr mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Berlin, das war wunderbar, eine wirklich wunderbare Erfahrung.

Frage: Sie haben gesagt, es war riskant, den Film zu machen. Warum?

Antwort: Weil es keinen zentralen Aufhänger gibt. Man kann zwei Wege gehen in einem Film. Entweder er ist ein starkes künstlerisches und stilistisches Statement des Autors, oder man erzählt etwas über die Gesellschaft, über die Welt. Und ich wollte sehr viel in diesem Film erzählen. Ich wollte erzählen, warum Menschen sich in sich selbst zurückziehen und wie sie es schaffen, dann doch aufeinander zuzugehen. Aber ich wollte uns als Autoren hinter dieser Geschichte verschwinden lassen. Und unsere Angst war, dass die Leute sagen: „Oh ja, eine nette Liebesgeschichte, danke herzlich!“ Und das wär's gewesen.

Frage: Aber dann?

Antwort: Dann war ich total erleichtert, als der Film das erste Mal hier auf der Berlinale lief. Ich saß im Zuschauerraum und hörte das Lachen und die Reaktionen und mir wurde klar, dass die Leute den Film aus genau den Gründen mochten, warum wir ihn gemacht haben. Und das ist einfach das Allerschönste: Wenn das Publikum genau die emotionale Achterbahnfahrt erlebt, die du versteckt in dem Film angelegt hast.

Frage: Eine Liebesgeschichte ausgerechnet im Schlachthaus ...

Antwort: Ich habe einen Ort gesucht, der ein bisschen die Gesellschaft widerspiegelt. Das Schlachthaus ist ein gut organisierter und funktionierender Ort, aber er nimmt keine Rücksicht auf das, was dort eigentlich passiert. Deshalb dachte ich, das wäre ein guter Anfang, um zu erklären, warum wir so in uns verschlossen sind. Das ist nicht einfach, weil wir so sind, sondern weil unsere Umgebung es uns schwer macht, offen und zugewandt zu sein.

Frage: In einer Szene zeigen Sie einen Polizisten, der sich mit einem Stück Fleisch bestechen lässt. Erzählt das etwas über Ungarn?

Antwort: Das ist bei uns seit 600 Jahren Alltag. Das ist nichts Besonderes, das ist die traurige Wahrheit. Korruption ist allgegenwärtig. Diese kleine miese Bestechlichkeit eines Polizisten, das gab es schon immer. Aber es geht weiter, und das macht Angst. Die Gesetze, die Regeln der Demokratie werden nicht einfach nur umgangen, sie werden zerstört. Es ist ein beängstigendes Land.

ZUR PERSON: Ildikó Enyedi, 1955 in Budapest geboren, gilt als eine der profiliertesten Filmemacherinnen Ungarns. International bekannt wurde sie 1989 mit ihrem in Cannes ausgezeichneten Debütfilm „Mein 20. Jahrhundert“. Sie ist Mutter von zwei Kindern, ihr Mann ist der im nordrhein-westfälischen Allendorf (Sundern) geborene Autor und Politologe Wilhelm Droste (63).