Im Streik-Chaos die Ruhe bewahren: Leitzentralen gefordert
Frankfurt/Main (dpa) - Eine gute Planung ist an Streiktagen mindestens die halbe Miete: In der Netzleitzentrale der Deutschen Bahn herrscht gerade in Krisensituationen wie dem aktuellen Lokführerausstand eine fast entspannte Ruhe.
Es sind in der Überzahl Männer, die vor imposanten Bildschirmbatterien sitzen und die überregionalen Personen- und Güterzüge durch die Republik lenken. Und wenn die Eisenbahnunternehmen ihre verbliebenen Fahrten vernünftig geplant haben, läuft das System an Streiktagen flüssiger.
Aus dem unscheinbaren Bürogebäude im Frankfurter Westen werden an normalen Tagen rund 1000 Fernzüge dirigiert. Für die große Masse des Regionalverkehrs inklusive der S-Bahnen in dem 33 500 Kilometer langen Schienennetz sind hingegen sieben nachgeordnete Betriebszentralen zuständig.
„Die Verspätungen werden weniger auf andere Züge übertragen“, hatte Koordinator Sascha Amrhein während des vorangegangenen GDL-Streiks im November 2014 berichtet. Auch dieses Mal rechnet Zentralen-Chef Tino Spring mit einem beherrschbaren Szenario, wie er am Dienstag erklärt. „Wichtig ist, dass wir die Strecken und Bahnhöfe freihalten, damit die Eisenbahnverkehrsunternehmen, die fahren werden, auch fahren können. Dies gilt insbesondere auch für die Grenzübergänge.“ In den bisherigen Streikrunden haben die Lokführer laut Bahn ihre Züge nicht einfach irgendwo stehen lassen, sondern koordiniert abgestellt.
Fast 60 Prozent aller DB-Güterzüge überqueren bei ihrer Fahrt mindestens eine Grenze in Europa. An den grenznahen Bahnhöfen entstehen die ärgsten Probleme, wenn die ankommenden Züge nicht von deutschen Lokführern weitergefahren werden können. Die Abstellgleise laufen zu, es kommt regelrecht zu Staus, wenn die Züge nicht bereits in den Transitländern gestoppt werden können. An den Seehäfen könnten die Container-Lager bei einem längeren Ausstand an ihre Kapazitätsgrenzen gelangen, denn beispielsweise in Hamburg wird an normalen Tagen jede dritte Stahlkiste per Bahn abgefahren.
Um solche Fragen kümmern sich auch die Experten in der europäischen Netzzentrale der DB Schenker Rail in direkter Nachbarschaft zum Frankfurter Flughafen. Die Bahn-Frachttochter fährt rund zwei Drittel des Schienen-Güterverkehrs in Deutschland, der Rest verteilt sich auf die mehr als 300 privaten Konkurrenten. Die GDL hat sich für ihre sechste Streikrunde erneut die besonders verkehrsreichen Tagen in der Wochenmitte ausgesucht.
Die möglichen Auswirkungen auf einzelne Branchen sind enorm, denn unter anderem die Autoindustrie setzt bei ihrer Teileversorgung stark auf die Schiene mit einem Anteil von 60 bis 70 Prozent. Ähnlich geht es Stahl- und Chemie-Standorten. Einige Kraftwerke werden ausschließlich per Bahn mit Brennstoff versorgt, so dass bei einem längeren Streik auch mancherorts der Strom knapp werden könnte.
Schenker Rail reagiert nach eigenen Angaben auf den Streik mit einem ausgedünnten Fahrplan. Nur noch besonders dringende Güter werden angenommen, um Produktionsausfälle zu verhindern. Der Rest der Fahrten muss verschoben werden.