Im Wortlaut: Die Gauck-Rede
Berlin (dpa) - Bundespräsident Joachim Gauck hat beim Gespräch mit den Familien der Mordopfer der NSU-Terrorgruppe Ermittlungspannen und Fahndungsfehler benannt. Bei dem Treffen hinter verschlossenen Türen sagte Gauck laut Redemanuskript in Auszügen:
„Ich kann Ihnen nicht versprechen, Ihnen Sorgen nehmen zu können, die Sie bis heute bedrücken. Aber ich möchte Ihnen allen sagen, als Bundespräsident: Ich werde tun, was ich kann, dass unser Land - unser gemeinsames Land! - nicht vergisst, was geschehen ist! Ich will mithelfen, dass Ihr Leid weiter wahrgenommen und anerkannt wird. Und dass aufgeklärt wird, wo es Fehler und Versäumnisse gegeben hat, dass darüber gesprochen und wenn nötig auch gestritten wird, was wir daraus lernen müssen! (...)
Sie alle haben erlebt, wie sich von einem Tag auf den anderen das ganze Leben verändert. Sie hätten Trost und Unterstützung gebraucht. Stattdessen sind Sie verdächtigt, gedemütigt und allein gelassen worden. (...)
Und es gibt weiterhin Grund, beunruhigt zu sein. Wie konnten hasserfüllte Extremisten über viele Jahre hinweg unbehelligt in unserem Land leben, rauben und morden? Warum ist diese Terrorserie nicht unterbrochen worden - ja, warum wurde sie noch nicht einmal als eine solche erkannt? Warum hat es solche Fehler und Fehlentscheidungen in den Ermittlungen gegeben - auch noch nach dem 4. November 2011? (...)
Sie, meine Damen und Herren, haben unserem Land und seinen Institutionen vertraut. Dieses Vertrauen ist erschüttert worden. Auch ich war erschrocken darüber, welche Fehler in mancher Behörde möglich waren. Ich will, dass Sie neues Vertrauen fassen können. Ich will, dass unser Land und unsere Institutionen dieses Vertrauen wieder verdienen. Ich werde genau verfolgen, ob staatliche Stellen ausreichend aufklären und Fehler Fehler nennen. Auch werde ich in solchen Fällen nach Konsequenzen fragen.
Es darf nicht sein, dass sich Menschen, die zum Teil schon seit Generationen in Deutschland leben, fragen müssen, ob sie hier wirklich zu Hause sind und ob sie sich hier auch sicher fühlen können. Alle Menschen in unserem Land müssen darauf bauen können, dass unser Staat sie schützt. Und darum brauchen wir einen funktionierenden, einen starken, einen wehrhaften Staat. Ich danke all denen, die diesen Staat, zum Beispiel als Polizisten, auch unter Einsatz ihres Lebens schützen.
Es wäre aber zu kurz gedacht, wenn wir nur nach dem Staat riefen, oder glaubten, dass es mit ein paar Reformen in Behörden und Institutionen getan wäre. Diese Reformen sind wichtig. Sie allein genügen aber nicht. Es geht um mehr. Es geht um die Frage, wie im Alltag verhindert werden kann, dass sich Vorurteile und Ressentiments einnisten. Es geht um andere Haltungen, in unseren Behörden und Institutionen, aber auch bei vielen Bürgern. (...)
"Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Diese Sätze in unserem Grundgesetz sind an keine Bedingung geknüpft - an keine Herkunft, keine Hautfarbe, keinen Pass, an keinen Glauben, keinen bestimmten Lebenswandel.“