In Syrien schweigen die Waffen - weitgehend
Damaskus/New York (dpa) - In vielen syrischen Kampfzonen schweigen erstmals seit über einem Jahr die Waffen. „Die Einstellung der Feindseligkeiten scheint zu halten“, sagte der UN-Sondergesandte Kofi Annan dem Sicherheitsrat in einer Videoschaltung.
Die Lage in dem umkämpften Land sei jetzt „relativ ruhig“, sagte er hoffnungsvoll. Die Opposition berichtete am Abend allerdings von insgesamt 20 Toten durch neue Regierungsgewalt, das Regime von einem getöteten Offizier.
Um 5.00 Uhr MESZ war die Frist zur Einhaltung der Waffenruhe abgelaufen, die der Sondergesandte ausgehandelt hatte. Es gebe zwar Berichte über Gewalt, sagte Annan am Nachmittag (MESZ). Er hoffe aber, dass dies nur Einzelfälle seien. Die Regierung solle ihre schweren Waffen sofort aus den Wohngebieten abziehen.
Annan will jetzt, dass die Vereinten Nationen so schnell wie möglich Beobachter nach Syrien entsenden, die die Einhaltung der Waffenruhe überwachen. Auch er selbst könne schnell wieder nach Syrien reisen, um einen politischen Dialog anzustoßen. Eine Beobachtermission der UN könnte schon an diesem Freitag vom Sicherheitsrat beschlossen werden: Gegen eine solche Entsendung gebe es keinen Widerstand, sagten Diplomaten in New York.
Der Kommandeur der oppositionellen Freien Syrischen Armee, Oberst Riad al-Asaad, bestätigte der Nachrichtenagentur dpa in einem Telefoninterview am Mittag zunächst die Waffenruhe: „Es hat seit heute Morgen keine Attacken mit schweren Geschützen mehr gegeben.“ Die Regierungstruppen hätten ihre Artillerieangriffe auf Wohnviertel eingestellt, sagte al-Asaad, der von der Türkei aus operiert. Er betonte aber, Razzien gegen mutmaßliche Regimegegner gingen weiter.
Am Abend nannten die Regimegegnern die Zahl von 20 am Donnerstag Getöteten. Es seien 19 Zivilisten und ein Deserteur durch Gewalt von Regierungstruppen ums Leben gekommen. Nach Angaben der Gegner von Präsident Baschar al-Assad starben zehn der Opfer in der Provinz Homs. Weitere Tote habe es in Idlib, im Großraum Damaskus sowie in den Provinzen Aleppo und Hama gegeben. Die staatlichen syrischen Medien berichteten zudem von einem Offizier, der bei einem Anschlag von Extremisten ums Leben gekommen sei.
Der fragile Waffenstillstand ist Teil eines Friedensplans, den Annan im März vorgelegt hatte. Wichtigster Punkt ist ein Ende der Gewalt, der etwa 9000 Menschen zum Opfer gefallen sein sollen. Zudem sieht der Plan den freien Zugang für humanitäre Helfer und Journalisten und einen vorsichtigen demokratischen Wandel in Syrien vor.
Das Regime von Präsident Baschar al-Assad hatte bereits am Mittwoch in einem Schreiben an Annan angekündigt, alle Kampfhandlungen fristgerecht einstellen zu wollen. Allerdings behalte man sich das Recht vor, auf mögliche Angriffe „terroristischer Gruppen angemessen zu reagieren“.
Auch der Leiter der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel Rahman, bewertete die Situation landesweit als weitgehend ruhig. Einige Explosionen seien in der Region Sabadani, rund 30 Kilometer von Damaskus entfernt, zu hören gewesen. Hinweise auf einen Armee-Rückzug aus den Städten gebe es noch nicht.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon redete dem syrischen Regime ins Gewissen: „Die ganze Welt verfolgt das sehr genau, denn viele frühere Zusagen der Regierung Syriens wurden nicht eingehalten.“ Damaskus müsse nun seine Versprechen in die Tat umsetzen.
Die Frage der Waffenruhe werde sich bei den großen Demonstrationen vor allem am Freitag entscheiden, sagte Elias Perabo von der Solidaritätskampagne „Adopt a Revolution“ im Deutschlandradio Kultur. „Die Aktivisten vor Ort, aber auch wir, sind da leider sehr skeptisch“. Zu schlecht seien die Erfahrungen des vergangenen Jahres.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama hatten sich vor Ablauf der Frist skeptisch zu Assads Absichten geäußert: Beide teilten in einem Telefonat die Sorge darüber, dass sich die Regierung in Damaskus bislang nicht an den Friedensplan gehalten habe und stattdessen „weiter mit inakzeptabler Brutalität gegen das eigene Volk vorgegangen“ sei. Über das Gespräch berichtete das Weiße Haus.
Wie Annan sprach sich auch Außenminister Guido Westerwelle dafür aus, bei Einhaltung des Friedensplans eine internationale Beobachtermission nach Syrien zu schicken. Offen ließ er, ob sich Deutschland mit eigenen Soldaten beteiligen würde. „Das ist viel zu früh, um über solche Fragen im Detail zu reden“, sagte der FDP-Politiker am Rande eines G8-Außenministertreffens. „Wir müssen unbedingt verhindern, dass aus dieser schlimmen Lage in Syrien ein Flächenbrand in der gesamten Region werden könnte.“