Interview: Auch WM-Triumph muss verarbeitet werden
Köln (dpa) - Der WM-Sieg hat Bilder und Eindrücke geliefert, die ein ganzes Leben halten können. Das passiert aber nicht von selbst, sagt die Kölner Sportpsychologin Babett Lobinger (47) im dpa-Interview.
Frage: Was ist schwerer zu verarbeiten, ein Triumph wie der WM-Titel oder eine Niederlage wie die der Argentinier?
Antwort: Beides muss verarbeitet werden, was für den ersten Fall, den Erfolg, vielleicht erstaunlich klingen könnte. Aber es gibt das, was ich den Trainingslager-Blues nenne. Man hat etwas ganz Tolles erlebt, zusammen mit Freunden, ist emotional richtig hochgestimmt, und jetzt muss man zurück in den grauen Alltag finden.
Frage: Was ja nicht nur für Weltmeister gilt, sondern auch für jeden Fan, sei es nach der WM oder nach dem Karneval. Gibt es Techniken für dieses Zurückfinden?
Antwort: Es geht darum, ein Stück weit das, was man erlebt hat, mitzunehmen und zu bewahren. Vielleicht muss man sich Zeit nehmen, um das Ganze noch einmal mental durchzugehen, das Kopfkino anwerfen und den einen oder anderen Moment wieder durchleben. „Wer friert uns diesen Moment ein“, heißt es in dem Song von Andreas Bourani - wenn wir bei dem Bild bleiben, dann geht es darum, das Ganze portionsweise einzufrieren, damit man bei Gelegenheit ein Eiswürfelchen wieder auftauen und ein Stück von diesem Gefühl zurückholen kann.
Frage: Aber wenn man die Leute nach dem Abpfiff Handy-Fotos schießen sieht, könnte man meinen, sie sind mehr damit beschäftigt, die Kirschen einzufrieren für die Zukunft, als auch mal eine zu genießen.
Antwort: Zunächst mal halten wir fest: Die Kirschen sind jetzt reif und müssen geerntet werden. Das passiert bei einer WM viel seltener als mit den Kirschen im Garten. Deshalb muss man Verständnis dafür haben, dass die Menschen auf die unterschiedlichste Art und Weise ihre Kirschen haltbar machen, die einen mit Selfies, die anderen ganz still in sich gekehrt, weil sie noch gar nicht fassen können, was da passiert ist. Da sind Bilder gemacht und Eindrücke gesammelt worden, die vielleicht ein ganzes Leben lang reichen.
ZUR PERSON: Die Psychologin Dr. Babett Lobinger lehrt und forscht an der Deutschen Sporthochschule in Köln, unter anderem zum Thema Leistungspsychologie. Sie arbeitet auch bei der Ausbildung von Trainern mit, zum Beispiel an der Hennes-Weisweiler-Akademie des Deutschen Fußball-Bundes in Hennef bei Bonn. Außerdem bietet sie Trainern und Spitzensportlern mentales Coaching an.