Interview: „Rechtsextreme Häftlinge wirken meist angepasst“
Seeheim-Jugenheim (dpa) - Rechtsradikale haben sich in deutschen Gefängnissen vernetzt, sie sollen sogar versucht haben, Kontakt zum Umfeld des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) aufzunehmen.
„Kein Wunder“, sagt Birgit Kannegießer vom hessischen Bund der Strafvollzugsbediensteten.
Sie fordert mehr Personal im allgemeinen Vollzugsdienst und in den sozialen Fachdiensten, um auffällige Strukturen zu erkennen und massiv gegensteuern zu können.
Frau Kannegießer, hat Sie die Nachricht vom rechtsradikalen Netzwerk eigentlich überrascht?
Kannegießer: „Nein, ich wusste seit mehreren Wochen davon. Inhaftierte mit einem solchen extremen politischen Hintergrund sind den Bediensteten ja auch in der Regel als solche bekannt. Zudem gibt es in unserer Gesellschaft eine — wenn auch nicht erträgliche - Toleranz für rechtsradikales Gedankengut. Warum sollte das in Haftanstalten anders sein? Es ist allerdings schwierig, die verdeckten Extremen als Radikale zu enttarnen. Sie wirken meistens sehr angepasst, fallen nicht durch überbordende Verhaltensweisen auf. Gefangene, die hierdurch unterdrückt werden, offenbaren sich den Kollegen leider sehr selten. Das sind dann Zufallstreffer.“
Das Problem ist also erkannt. Was lässt sich dagegen tun?
Kannegießer: „Wir müssen diese Fälle mit ihren politischen Ansichten konfrontieren, nur dann ist eine Entwicklung möglich. Man muss sie zu einer solchen Auseinandersetzung fordern, wenngleich wir in den Haftanstalten mit unserer Personalausstattung nicht therapieren können. Fakt ist aber: Um diese Gespräche mit den Häftlingen zu führen, benötigen wir ausreichend geschultes Personal vor allem im sozialen, im pädagogischen und psychologischen Bereich. Hier ist die Personaldecke viel zu gering, um dies zu leisten.“
Wie ordnen Sie das Problem ein?
Kannegießer: „Man darf und sollte den Rechtsextremismus auch in den JVA nicht unterschätzen, das gehört zu unserem Resozialisierungsauftrag. Das geht aber nur mit entsprechender Personaldecke. Rechtsradikale Strukturen sind aber nach Wahrnehmung aus der Praxis bisher nicht derart ausgeprägt, dass der Vollzug untergraben würde. Da greifen beispielsweise die mafiösen Strukturen des Drogenhandels deutlich heftiger in den Auswirkungen für die Vollzugsanstalten.“