Analyse Italien vor radikalem Wandel

Rom (dpa) - Wenn die Geburtswehen ein Omen für die Babyphase sind, dann sind die Italiener nicht zu beneiden. Geschrei wird es sicher viel geben. Die erste Regierung aus zwei populistischen Parteien, ein noch nie dagewesenes Projekt, kann starten.

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Die Fünf-Sterne-Bewegung und die ausländerfeindliche Lega haben sich nach zweieinhalb zähen Monaten zusammengerauft, aller Voraussicht nach wird in wenigen Tagen ein ungleiches Duo Europas drittgrößte Volkswirtschaft lenken. Der Kurs steht auf Konfrontation mit all dem, was man bisher gewohnt war: gegen die Institutionen, gegen die Eliten und vor allem gegen die EU.

Der „Verteidiger des italienischen Volkes“ in der EU und auf internationaler Ebene wolle er sein, erklärte der designierte Regierungschef Giuseppe Conte am Mittwoch. Auffällig war aber, dass er bei seinem ersten Auftritt zuerst betonte, dass Italien seinen Platz klar in Europa sieht. Staatspräsident Sergio Mattarelle wird ihm eingeflößt haben, dass es sich das Land nicht mit den internationalen Partnern verscherzen kann.

Auch wenn das Stänkern in Richtung Brüssel und Berlin die letzten Wochen laut war und laut bleiben wird: Auch diese Regierung wird nun auf dem harten Boden der Realität landen. Und viele ihrer teuren Versprechen werden nicht in Erfüllung gehen. Steuersenkungen, bedingungsloses Grundeinkommen, weg mit allen illegal ins Land gekommenen Migranten: All dies sind Vorhaben, die im Rahmen der italienischen Verfassung und internationaler Verträge schwer umzusetzen sein werden. „Nach der Ankunft der Regierung werden unvermeidlich Versprechen zurückgenommen oder gänzlich verschwinden“, sagte Wolfango Piccoli von der Denkfabrik Teneo.

Für alle Italiener, die auf mehr Geld in den eigenen Taschen hoffen, ist das eine schlechte Nachricht. Für alle Schuldenwächter könnte es eine gute Nachricht sein, wenn das, was versprochen wurde, nicht geschieht. Ist doch Italien so hoch verschuldet wie kaum ein anderes Land der Welt und kann sich hohe Mehrausgaben schlicht nicht leisten.

Doch das allerschwerste wird sein, dass es sich hier um eine reine Zweckehe mit vielen verdeckten Akteuren handelt. Daher wird die Lebensdauer dieser Koalition schon im Voraus als sehr gering eingeschätzt. Ihre Mehrheit im Parlament, vor allem im Senat, ist zudem knapp. Gesetze durchzubringen, wird da schwer.

Fünf Sterne und Lega waren sich im Wahlkampf spinnefeind - und sind es im Grunde immer noch. Während Sterne-Chef Luigi Di Maio versucht, die Wogen zu glätten und seiner Partei einen europafreundlicheren Anstrich zu geben, verfolgt Lega-Chef Matteo Salvini genau das Gegenteil. Seine Popularität steigt und steigt. Fast jeden Tag werden seine Fans auf Facebook mit Videobotschaften bedacht, in denen er verspricht, Italien wechselweise vom Brüssler, Berliner oder Pariser Joch zu befreien.

Nun wollen die beiden auf einmal gemeinsame Sache machen, das Timing ihrer Kommunikation haben sie in den vergangenen Wochen bereits synchronisiert. Ihre Wählerschaft aber ist vollkommen unterschiedlich: Bei der Lega sind es die gut situierten Norditaliener, bei den Sternen die ärmeren Süditaliener. Die Lega ist ganz klar rechts, dagegen wählten auch viele Linke die Sterne. Selbst der künftige Regierungschef Conte bekannte, früher links gewählt zu haben. Wie der 53-Jährige sich da mit der Lega arrangieren will - beziehungsweise sie sich mit ihm - ist das große Rätsel.

Überhaupt steht der Jurist aus dem Dunstkreis der Sterne-Bewegung vor dem wohl undankbarsten Job. Er hat keinerlei Erfahrung in der Politik und muss den Spagat zwischen den Parteien schaffen - und den zwischen Rom und Brüssel noch dazu. Er muss einerseits gemäßigt rüberkommen, aber gleichzeit darf er die „Regierung des Wandels“ nicht verraten und als Einknicker gegenüber Europa dastehen. In seiner ersten kurzen Ansprache am Mittwoch wurde dies schon deutlich.

Im Hintergrund walten die Ehrgeizlinge Di Maio und Salvini, die beide selbst auf den Chefsessel im Regierungspalast wollten. Wird Conte da nur ihr „Hampelmann“? Wie schon im Fall von Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi zu beobachten ist, agieren bei den Sternen gerne Marionetten im Vordergrund, während das „Gehirn“ der Bewegung andere sind.

Contes bestenfalls holpriger Start mit einem angeblich aufgehübschten Lebenslauf - wie ihn im übrigen die meisten Italiener gerne schreiben - ist da kein gutes Vorzeichen. Auch wird sich zeigen müssen, ob die Italiener schlucken, dass auch Conte kein gewählter Premier ist - sondern im strengsten Sinne einer der verhassten „Technokraten“.

Auch die Besetzung der Ministerposten wird mit Argusaugen verfolgt. Für Rumoren sorgte zuletzt die Personalie des möglichen Finanzministers. Für diesen Posten - einen der wichtigsten im Kabinett - war mit dem Ökonomen Paolo Savona ein Euro- und Deutschlandgegner im Gespräch. Stress ist vorprogrammiert.

Doch auch diese demokratisch gewählte Koalition hat eine Chance verdient - selbst wenn das Chaos bei der Regierungsbildung nichts Gutes erahnen lässt. „Lasst uns erst anfangen, dann könnt Ihr uns kritisieren (...), aber lasst uns wenigstens erst anfangen“, forderte Di Maio, nachdem im Ausland die Alarmglocken schrillten und immer neue Hiobsbotschaften der italienischen „Schulden-Allianz“ die Märkte erzittern ließen.

Alles andere als diese Koalition, die im Parlament die Mehrheit hat und in Umfragen immer noch gewünscht ist, wäre eine vermutlich noch größere Katastrophe für Italien gewesen. Eine Technokratenregierung hätte den Polit-Frust der Wähler nur erhöht und sie weiter in die Arme von Populisten getrieben. Eine Neuwahl hätte vermutlich das selbe Ergebnis gebracht. Abgesehen davon liegen die „gemäßigten Parteien“ - soweit man bei einer Partei wie der Forza Italia mit einem Präsidenten wie Silvio Berlusconi überhaupt davon sprechen kann - am Boden. Und die Sozialdemokraten üben sich in Selbstdemontage.

Diese Regierung ist ein Experiment, ein sehr explosives Experiment sogar. Aber es sei dem Land zu wünschen, dass am Ende etwas Besseres als erwartet dabei herauskommt. Und wenn es scheitert, dann kann kein Populist mehr sagen, dass die anderen Schuld waren.