Jüdischer Weltkongress: „Linker Antisemitismus gefährlicher“

New York (dpa) - Was ist Kritik an Israel und wo fängt Antisemitismus an? Manche in Europa sind beunruhigt, weil sie in Demonstrationen gegen Israel auch Ressentiments gegen Juden sehen.

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Petr Papousek, Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses, erklärt im Interview der Deutschen Presse-Agentur, warum manche Juden Angst haben und warum er den linken Antisemitismus für gefährlicher hält als den rechten.

Frage: Herr Papousek, plötzlich hört man auf der Straße wieder Rufe, die in Deutschland lange tabu waren: Gegen Juden. Ist es leidenschaftliche Kritik am militärischen Vorgehen Israels? Oder steckt Antisemitismus dahinter?

Antwort: Wir sind sehr beunruhigt und manche fühlen sich an die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg erinnert. Es ist sicher in erster Linie ein politischer Protest. Aber ein nicht geringer Teil der Demonstranten sind ohne Frage Antisemiten. Das seltsame ist, dass sie eben nicht den Staat Israel oder die Regierung Israels angreifen, sondern „die Juden“. Und das sind nicht selten einfach ihre Nachbarn. Das ist in den letzten Jahren schlimmer geworden und deshalb machen wir uns natürlich Sorgen. Aber ich bleibe optimistisch. Ich bin mir sicher, dass auch zukünftig Juden in Europa leben werden. Denn Europa ist gut für die Juden - und die Juden auch für Europa.

Frage: In Deutschland schaut man bei Antisemitismus normalerweise nach rechts...

Antwort: Das ist nachvollziehbar, aber sehr kurzsichtig. Die meisten Antisemiten kommen sicher aus muslimischen Ländern. Aber interessant ist auch, wie stark der linke Antisemitismus in Deutschland und auch anderen Ländern ist. Der ist viel stärker als der rechte. Israel wird als Kolonialmacht hingestellt und die Juden hätten im Namen Osten nicht zu suchen. Es ist klar, dass das aus der linken Ecke kommt. Wir hatten in Tschechien eine Bürgerinitiative gegen ein Radar der Nato. Nachdem dieses Projekt vom Tisch war, war es plötzlich eine Bürgerinitiative gegen Israel. So einfach ist das.

Frage: Ist der linke Antisemitismus weniger gefährlich als der rechte?

Antwort: Nein, sogar ganz im Gegenteil! Denn den rechten Antisemitismus kennen und erkennen wir und er ist in weiten Teilen der Gesellschaft absolut tabuisiert. Der linke Antisemitismus kommt nicht nur getarnt daher, er ist auch weitgehend akzeptiert als Teil der Universitäten, der Politik und der öffentlichen Debatte. Und das ist das gefährliche am linken Judenhass: Man ist Antisemit und fühlt sich trotzdem ganz modern und aufgeklärt.

Frage: Schadet der israelische Militäreinsatz denn auch dem Ansehen der Juden in Europa?

Antwort: Ja, sicher gibt es da einen Zusammenhang. Aber das eigentliche Problem ist, dass in Europa immer mehr muslimische Einwanderer leben und ein Teil von ihnen verachtet Juden. Wenn wir von wachsender Feindlichkeit gegen Juden in Europa sprechen, dann ist das vor allem auf die Einwanderer zurückzuführen.

Frage: Die europäischen Juden sind kein monolithischer Block. Aber glauben Sie, dass die Mehrheit dieser Juden die Politik Israels unterstützt?

Antwort: Ich glaube schon, dass die jüdischen Gemeinden zum großen Teil auf der Seite Israels stehen und dem Land ein Recht auf Selbstverteidigung zubilligen...

Frage: ... eine Selbstverteidigung, die selbst nach Auffassung von Verbündeten oft nicht maßvoll ist...

Antwort: Vielleicht, aber sie kämpfen ja auch gegen Terroristen. Das sind Menschen, deren einziges und erklärtes Ziel es ist, Israel zu vernichten und Juden zu ermorden. Es gibt Opfer auch unter der Zivilbevölkerung und das ist furchtbar. Wir glauben aber schon, dass sich Israel bemüht, zivile Opfer zu vermeiden. Der Hamas ist das nicht nur egal, sie greift sogar gezielt Zivilisten an.

ZUR PERSON: Petr Papousek, 1977 in Olmütz, Mähren, geboren, ist der Enkel eines Holocaust-Überlebenden. Dennoch erfuhr er erst als Jugendlicher, dass er Jude ist. Der Wirtschaftswissenschaftler ist seit zwei Jahren Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Tschechiens und Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses. Papousek ist verheiratet und hat zwei Kinder.