Karlsruhe billigt Euro-Hilfen - Merkel zufrieden
Karlsruhe/Berlin (dpa) - Mehr Macht für den Bundestag und Rückendeckung für die Kanzlerin: Das Bundesverfassungsgericht hat die ersten Rettungspakete für Griechenland und den Euro gebilligt.
Künftig bekommt das Parlament aber mehr Rechte bei der Vergabe neuer Milliarden an marode Euro-Schuldenländer. Die obersten Richter erklärten am Mittwoch in Karlsruhe, das Urteil sei für die Regierung „keine Blanko-Ermächtigung für weitere Rettungspakete“.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) reagierte erleichtert auf die abgewiesenen Klagen von Euro-Gegnern. Nach der weltweit beachteten Entscheidung zogen die nervösen Börsen in Europa und den USA an, auch der Euro profitierte. Die Chancen für Eurobonds sind aus Sicht der Koalition mit dem Urteil gesunken. Eine Neuauflage des Streits ist aber programmiert, wenn es um den dauerhaften, ab 2013 geplanten Rettungsschirm ESM geht.
Die Kanzlerin sagte im Bundestag, Karlsruhe habe die bisherige Euro-Politik „absolut bestätigt“. Es gehe um Eigenverantwortung und Solidarität, die transparent und mit absoluter Mitbestimmung des Parlaments umgesetzt würden. „Das ist genau der Weg, den wir gegangen sind.“ Leidenschaftlich warb die CDU-Chefin für Europa. „Scheitert der Euro, scheitert Europa.“
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sagte, Gewinner sei die Demokratie. Es sei jetzt „glasklare Verfassungslage“, dass der Bundestag seine Budgethoheit nicht abgeben dürfe. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der zuvor vor zu starken Eingriffen des Parlaments gewarnt hatte, sieht die Handlungsfähigkeit der Regierung nicht berührt. Die Entscheidung ändere aber nichts daran, dass die Debatte über den Euro auch künftig sehr schwierig sein werde.
FDP-Chef Philipp Rösler sprach von einer „Sternstunde“ für das Parlament. Aus Sicht von CSU-Chef Horst Seehofer sind Träume von einem Bundesstaat Europa nun ausgeträumt. Die EU-Kommission reagierte zufrieden. Die Opposition begrüßte die stärkere Stellung des Bundestages.
Die Verfassungshüter entschieden, dass es bei Euro-Hilfen keinen Automatismus geben darf, der die Rechte der Abgeordneten aushebelt. Die drei Verfassungsbeschwerden von Euro-Kritikern gegen die Beschlüsse zu den Rettungshilfen von 2010 blieben damit weitgehend erfolglos (Az. 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10).
Der Präsident des Verfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, betonte, der Tenor der Entscheidung sei „denkbar knapp“ ausgefallen. Konkret ging es um das erste, 110 Milliarden Euro umfassende Hilfspaket für Griechenland vom Mai 2010 und den ebenfalls im Frühjahr 2010 aufgelegten gemeinsamen Euro-Rettungsschirm EFSF. Hier bürgt Deutschland mit bisher bis zu 148 Milliarden Euro.
Künftig sollen es bis zu 253 Milliarden Euro sein - fast so viel wie der gesamte Bundesetat im nächsten Jahr von rund 306 Milliarden Euro. Für den Ende September geplanten Bundestagsbeschluss über eine Stärkung des EFSF hat das Gericht keine neuen Hürden erstellt. Die schwarz-gelbe Koalition muss dabei um eine eigene Mehrheit zittern.
Nach den Vorgaben der obersten Richter müssen die Hilfspakete klar definiert sein und den Parlamentariern die Möglichkeit zur Kontrolle und auch zum Ausstieg geben. Bei den beschlossenen Hilfen sieht das Gericht die Kriterien erfüllt. Nachbesserungen fordert Karlsruhe bei der Einbeziehung des Parlaments. Es reiche nicht aus, dass der Bundestag die Rahmenbedingungen beschließe und die Regierung dann bei der konkreten Ausgestaltung nur noch den Haushaltsausschuss informiere. Vielmehr dürften Hilfen künftig nur dann gewährt werden, wenn der Ausschuss vorher zugestimmt habe.
Union und FDP haben sich bereits auf Leitlinien für deutlich mehr Mitspracherechte des Parlaments verständigt. Danach muss die Regierung bei allen wichtigen Entscheidungen in den EFSF-Gremien mit Nein stimmen, wenn zuvor nicht das Parlament entschieden hat. Dies soll auch eilige und vertrauliche Entscheidungen betreffen.
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier forderte die Koalition auf, gemeinsam eine Lösung zu suchen und für eine breite Mehrheit zu sorgen. „Das ist eine Bringschuld der Regierungsfraktionen, keine Holschuld der Opposition.“ Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin nannte das Urteil „eine Niederlage für den D-Mark-Chauvinismus“.
Mit der Entscheidung knüpft das Gericht an seine Urteile zu den Verträgen von Maastricht und Lissabon an, bei denen es die Souveränität des deutschen Staates hervorhob. Erneut findet sich ein klares Nein gegen Mehrheitsentscheidungen in der EU, bei denen Deutschland überstimmt werden könnte. In diese Rubrik fallen auch die Eurobonds, da bei ihnen die deutsche Regierung nicht in allen Belangen Herr des Verfahrens sein könnte. Die Vergemeinschaftung von Staatsschulden berge ein hohes Risiko für die Eigenverantwortung.
Die Börse beendete ihre Talfahrt. Der Dax legte bis zum Nachmittag um 3,5 Prozent auf 5375,66 Punkte zu. Hintergrund war nicht nur das Karlsruher Urteil; auch Berichte über ein neues Jobprogramm in den USA und bessere Zahlen zur Industrieproduktion in Deutschland als erwartet spielten eine Rolle. Der Kurs des Euro legte auf teils 1,4149 Dollar zu, verlor dann im Tagesverlauf aber wieder.
Dem Argument der Klägergruppe um mehrere Professoren und den CSU-Abgeordneten Peter Gauweiler, durch den Rettungsschirm drohe ein riesiges Haushaltsloch und die Handlungsunfähigkeit des Staates, konnte das Gericht nicht folgen. Auch das Szenario, dass die Bürger durch die Rettungspakete mit sinkender Kaufkraft des Euro rechnen müssten, konnten die Richter nicht nachvollziehen. Gauweiler meinte, die Richter hätten „der deutschen Rettungspolitik für den Euro verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt“.