Kiew und Moskau einigen sich im Gasstreit
Brüssel (dpa) - Mit dem Gasfrieden zwischen Russland und der Ukraine kann Europa auf eine sichere Energieversorgung im Winter hoffen. Nach Marathonverhandlungen einigten sich Russland und die Ukraine auf einen festen Gaspreis für neue Lieferungen und die Rückzahlung von milliardenschweren Schulden.
Europas Regierungen reagierten erleichtert auf die Einigung. Der Kompromiss könnte die Beziehungen zwischen beiden Ländern verbessern, lautet die Hoffnung.
„Jetzt haben wir erstmals einen Schritt in die andere Richtung“, sagte der vermittelnde EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU) im Deutschlandfunk. „Einen Schritt weg von Eskalation und Verschärfungskonflikt, hin zu Deeskalation und Vertrauensbildung.“
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Präsident François Hollande begrüßten die Vereinbarung in einer gemeinsamen Erklärung. Sie wollten zusammen mit der EU, den USA, den G7-Staaten sowie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) die Umsetzung unterstützen.
Die quasi insolvente Ukraine braucht für die Zahlung der Milliardensummen Unterstützung. Nach den Worten Oettingers kann sie dazu Hilfsprogramme nutzen, die die EU und der IWF in diesem Jahr bereits beschlossen haben. Weitere Programme könnten vielleicht im nächsten Jahr folgen.
EU-Kommissionschef José Manuel Barroso zeigte sich zufrieden: „Es gibt jetzt keinen Grund dafür, dass die Menschen in Europa es in diesem Winter kalt haben.“ Ein Großteil des Gases, das Europa aus Russland bezieht, fließt durch die Ukraine. Es gab Befürchtungen, das Land könnte diese Gasflüsse im Ernstfall abzweigen.
Beide Seiten unterzeichneten am Donnerstagabend gemeinsam mit der EU-Kommission als Vermittlerin eine Vereinbarung. Darin geht es um die Begleichung alter Schulden und die Bezahlung künftiger Lieferungen - wobei auch europäisches Geld helfen soll. Seit Juni erhält die Ukraine kein russisches Gas mehr.
Bis März soll die Ukraine einen Preis von weniger als 385 US-Dollar (etwa 305 Euro) je tausend Kubikmeter russisches Gas zahlen. Sowohl der russische Energieminister Alexander Nowak als auch sein ukrainisches Gegenüber Juri Prodan nannten einen Preis von 378 US-Dollar (knapp 300 Euro). Nowak erklärte, damit gewähre die russische Seite „eine Minderung um 100 Dollar“.
Russland will nur Gas liefern, das bereits per Vorkasse bezahlt worden ist und erwartet jetzt bald eine erste Milliardenzahlung aus Kiew. Eine Schuldentilgung sei die Bedingung für die Wiederaufnahme der Gaslieferungen, sagte Gazprom-Chef Alexej Miller am Freitag dem TV-Sender Rossija-24. Er gehe davon aus, dass das Geld spätestens bis Ende nächster Woche in Moskau ankomme. Er hoffe, dass nun „ein konstruktiveres Kapitel in den Gasbeziehungen zwischen der EU, Russland und der Ukraine“ aufgeschlagen werden könne.
Die Ukraine plant laut EU-Kommission bis Ende des Jahres Gaskäufe von ungefähr vier Milliarden Kubikmetern im Wert von etwa 1,5 Milliarden US-Dollar (knapp 1,2 Milliarden Euro). Zur Begleichung alter Schulden soll das Land bis Ende des Jahres 3,1 Milliarden US-Dollar (rund 2,5 Milliarden Euro) an den russischen Energieversorger zahlen. Dieses Geld liege auf einem Sonderkonto bei der ukrainischen Staatsbank und sei damit Gazprom sicher, sagte Oettinger. Eine erste Tranche von 1,45 Milliarden US-Dollar solle bereits „in den nächsten Tagen“ bezahlt werden.
Das Thema hatte bis zuletzt die Staats- und Regierungschefs beschäftigt. Merkel und Hollande führten nach der Einigung Gespräche mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und seinem ukrainischen Kollegen Petro Poroschenko, teilten beide mit.
Die Einigung umfasst die Winterperiode bis März nächsten Jahres. Danach muss über die Lieferungen für den nächsten Winter neu verhandelt werden. EU-Kommissar Oettinger sagte im Deutschlandfunk: „Jetzt haben wir ein knappes Jahr Zeit, um nicht die Hände in den Schoß zu legen, sondern in aller Ruhe über eine dauerhafte Neuordnung der Vertragsbeziehungen zu sprechen.“ Allerdings wird Oettinger von diesem Samstag an nicht mehr für Energie, sondern für Digitales in der Kommission zuständig sein. Denn am 1. November tritt ein neues Team unter EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker an.