Kirchen-Anschlag trifft „die Seele Frankreichs“
Rouen (dpa) - Ein weiteres Schreckensszenario ist Realität geworden: Auch vor Kirchenpforten macht der Terror in Frankreich nicht halt. „Wir sind wie vor den Kopf gestoßen“, sagt der Generalvikar der Erzdiözese von Rouen, Philippe Maheut, wenige Stunden nach dem Mord an einem Priester in der Normandie.
Ex-Präsident Nicolas Sarkozy macht die Tragweite der Attacke im katholisch geprägten Frankreich deutlich: Mit dem Anschlag in einer Kirche sei die Seele des Landes getroffen.
Der Bürgermeister der Gemeinde Saint-Étienne-du-Rouvray spricht von einem „barbarischen Akt“ - und die ohnehin aufgeheizte Sicherheitsdebatte in dem von Terror geplagten Frankreich dürfte weiter an Fahrt gewinnen.
Keine zwei Wochen nach dem Anschlag von Nizza wirkt das Land zunehmend müde und zerstritten. Und manche befürchten, dass die von der Terrormiliz Islamischer Staat beanspruchte Attacke die Risse in der Gesellschaft weiter vertiefen könnte.
Das Ziel der Angreifer ist keine von Touristen bestaunte Großstadt-Kathedrale, sondern ein Kleinstadt-Gotteshaus. Nicht einmal 30 000 Einwohner hat die Gemeinde bei Rouen. Die Morgenmesse zelebriert Jacques Hamel - mit mehr als 80 Jahren eigentlich längst im Rentenalter, aber nach wie vor als Aushilfspriester aktiv.
Die Angreifer sind nach ersten Angaben wohl mit Messern bewaffnet, nehmen fünf Menschen als Geiseln. Eine Nonne kann flüchten, sie erzählt später dem Sender RMC, dass der Priester sich habe hinknien müssen. Als die Männer schließlich die Kirche verlassen und von der Polizei erschossen werden, ist der Priester schon tot, eine weitere Geisel schwer verletzt.
Das Land reagiert bestürzt: „Wir sind in einer Zeit, in der alles möglich ist“, sagt Georges Fenech, der Vorsitzende des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu den Anschlägen von 2015. 149 Menschen wurden im vergangenen Jahr bei Terroranschlägen ermordet, in diesem Jahr starben in Nizza 84 Menschen, außerdem wurde ein Polizistenpaar umgebracht.
Schon länger wurde befürchtet, dass auch Kirchen zu Terrorzielen werden könnten. Im Frühjahr 2015 durchkreuzten die Behörden eher durch Zufall einen Anschlagsplan gegen Gotteshäuser im Pariser Vorort Villejuif. Vor Weihnachten wies das Innenministerium die Behörden an, mit Blick auf Sicherheitsvorkehrungen Kontakt zu den Gemeinden zu suchen.
Über die Angreifer wurde zunächst nicht viel bekannt, einer von ihnen soll den Behörden wegen seiner radikalen Gesinnung bekannt gewesen sein. Der umgehend an den Tatort geeilte Präsident François Hollande bezeichnete die Täter jedenfalls schnell als Terroristen. Sie hätten sich auf die Terrormiliz IS berufen, sagte er. Der IS reklamierte über sein Sprachrohr Amak die Tat für sich.
In die IS-Strategie würde die Attacke jedenfalls passen. Der IS hat es immer wieder darauf angelegt, religiöse Spannungen anzuheizen - im Irak etwa attackieren die sunnitischen Extremisten gezielt Schiiten, in Saudi-Arabien griffen sie schiitische Gotteshäuser mit Bomben an .
Der linke Abgeordnete Olivier Falorni warnte dann auch prompt vor der Gefahr eines Konflikts zwischen Christen und Muslimen, die der IS befeuern wolle. „Ich glaube, dass es der Wille des IS ist, dass unser Land auseinanderfliegt“, sagte das Mitglied des Terror-Untersuchungsausschusses dem Sender iTélé. „Dass sich letztlich Milizen bilden, um zu versuchen, an Stelle des Staates Selbstjustiz zu üben. Der Wille des IS ist, dass unsere Demokratie ins Chaos abgleitet.“
Während die Nation nach dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“ noch die Ärmel hochkrempelte und demonstrative Einheit zeigte, scheint der Zusammenhalt mit jeder neuen Attacke stärker zu wanken. Diesmal dauerte es nur wenige Stunden, bis die politische Opposition die Regierung zu mehr Härte gegen den Terror drängte. Erst vor wenigen Tagen hatte das Land den Ausnahmezustand bis Anfang 2017 verlängert.
„Wir fragen uns, wie es soweit kommen konnte“, sagte Generalvikar Maheut dem Sender BFMTV. Erst wenige Wochen vor seinem Tod hatte der ermordete Priester seine Gemeinde dazu aufgerufen, die Welt „wärmer, menschlicher und brüderlicher“ zu gestalten. In einem Gemeindebrief von Anfang Juni schrieb er, seine Leser sollten aufmerksam verfolgen, was sich in der Welt gerade ereigne. „Beten wir für jene, die es am nötigsten haben, für den Frieden, für ein besseres Zusammenleben.“