Konfliktforscher: Polizeieinsatz löst Problem nicht
Bielefeld (dpa) - Krawalle wie jetzt in England oder vor einigen Jahren in Frankreich hält der Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer in Deutschland für unwahrscheinlich.
„Wir haben hier weder die Siedlungsstruktur wie die französischen Vororte noch die scharfe Ausgrenzung und Verarmung wie in Großbritannien“, sagte der Bielefelder Soziologe am Dienstag der Nachrichtenagentur dpa. „Insofern bin ich optimistisch, dass so etwas hier nicht passiert.“
Derartige „riots“ (Unruhen) hätten meist übereinstimmende Kernelemente, sagte Heitmeyer. In Großbritannien sei die soziale Spaltung sehr viel tiefer als in Deutschland. In Orten wie den Londoner Stadtteilen Tottenham oder Brixton gebe es Armut und Ausgrenzung, eine hohe Konzentration von Arbeitslosen, Ausländern, Alleinerziehenden und älteren Menschen. „Diese Faktoren sorgen vor dem Hintergrund einer bestimmten Sozial- und Arbeitsmarktpolitik für eine latente Konfliktstimmung.“
Eine weitere Voraussetzung seien klare Feindbilder auf beiden Seiten wie etwa in Frankreich bei der Polizei und den jugendlichen aus Nordafrika. Dazu kämen bestimmte Mobilisierungsfaktoren. „Etwa, wenn politische Eliten eine zusätzliche Entwertung oder Ausgrenzung vornehmen, wie das in Frankreich durch den damaligen Innenminister [Nicolas] Sarkozy der Fall war, der die Banlieus ja "Kärchern" wollte, also mit dem Hochdruckreiniger säubern wollte.“
Ein weiteres Element solcher Krawalle sei die kollektive Sichtbarkeit über Medien, sagte der Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung. „Die Gruppen demonstrieren, dass sie ihre alltägliche Ohnmacht überwinden können. Dabei ist Gewalt natürlich hochattraktiv, weil die Medien darauf sofort reagieren.“ Ein wichtiger Faktor sei auch ein „moralisch ausbeutbares Signalereignis“. In England habe der Tod eines Farbigen als Legitimation für die Ausschreitungen gedient.
Heitmeyer warnte Politik und Medien, sich nur um die Ausschreitungen zu kümmern, ohne nach tieferen Ursachen zu fragen. Mehr Polizei sei kein Ersatz für soziale Sicherheit, „das heißt, man kann solche Dinge nicht über Polizeikontrollen in den Griff bekommen“.