Krawall oder Frieden? - Berlin übt verbale Abrüstung
Berlin (dpa) - Es ist jedes Jahr das gleiche Ritual: Am 1. Mai kracht es in Berlin. Gewaltbereite suchen die Auseinandersetzung mit der Polizei. In diesem Jahr reden die Behörden einen ruhigen Feiertag herbei.
Der 1. Mai 1987 in Berlin-Kreuzberg gilt als „Mutter aller Krawalle“. Seitdem - nun 25 Jahre - heißt die jährliche Frage in der Hauptstadt: Bleibt es ruhig oder knallt es wieder? Jahrelang suchten gewaltbereite Linksradikale immer wieder die Auseinandersetzung mit der Polizei. Auch diesmal stimmt sich die Szene im Internet auf die „Insurrection Days“ (Tage des Aufstandes) ein. Doch die Berliner Politik beschwört einen friedlichen 1. Mai - trotz Krawall-Jubiläums.
Was die Randale vor 25 Jahren auslöste, lässt sich heute nur noch schwer sagen. War es ein umgekippter Streifenwagen oder das rigide Durchgreifen der Polizei? Der Abend ging als „Kiezaufstand“ in die Geschichtsbücher ein. Wie immer waren die Gewerkschaften am Tag der Arbeit aufgezogen. Gleichzeitig fand im von Hausbesetzern, Alternativen und Wehrdienstflüchtlingen geprägten Kreuzberg ein Straßenfest statt. „Irgendwann kamen Leute auf die Idee, einen leeren Polizei-Bulli umzuwerfen“, erinnert sich Toni Nemes, der damals als freier Fotojournalist vor Ort war.
In der Nacht zuvor hatte die Polizei das Büro des Volkszählungsboykotts durchsucht und Flugblätter beschlagnahmt. Dazu die sozial prekäre Lage im Kiez - die linke Szene schäumte vor Wut. Laut Einsatzprotokoll der Polizei warfen Vermummte plötzlich Steine auf Polizisten. „Als Reaktion wurde Tränengas eingesetzt. Im Nachhinein muss man leider sagen: ziemlich wahllos“, sagt Helmut Sarwas, damals Beamter bei den Einsatzhundertschaften. „Damit war der Damm gebrochen.“ Rund 900 meist junge Menschen liefern sich eine heftige Schlacht mit der Polizei. „Das war Bürgerkrieg“, sagt Sarwas.
Der „Kiezaufstand“ mündete in den Folgejahren in der „Revolutionären 1. Mai Demo“, die in den Abendstunden immer wieder Verwüstungen mit sich zog. „Zunehmend beherrschten nicht mehr Linksautonome das Feld, sondern Randale-Kids, Krawall-Touristen und Betrunkene“, sagt Protestforscher Dieter Rucht. Erst in den vergangenen zehn Jahren nahmen die Krawalle ab.
Die Behörden halten daher auch in diesem Jahr an ihrer Taktik fest. Intensive Gespräche mit den Organisatoren sollen die Gemüter frühzeitig beruhigen. Die Polizei ging Kompromisse ein. Erstmals darf die krawallträchtige Demo von Kreuzberg ins Regierungsviertel ziehen - vorbei an potenziellen Angriffszielen. Solange es friedlich bleibt, sollen sich die bis zu 7000 Beamten im Hintergrund halten, gegen Störer aber gezielt vorgehen.
Innensenator Frank Henkel (CDU) weiß, dass verbale Abrüstung nötig ist. Nach Jahren ist mit ihm erstmals wieder ein CDU-Innensenator im Amt. Protestforscher Rucht glaubt, Linke könnten sich schon allein daran stören. Im Netz wird angekündigt, man werde Henkel einen „feurigen Empfang“ bereiten. „Wir gehen von einem friedlichen 1. Mai aus“, sagt der Politiker.
Mit „möglichen Einzelaktionen“ wisse man umzugehen, betont die Polizei. Selbst die Deutsche Polizeigewerkschaft, sonst schnell alarmiert, ist optimistisch. „Ausschreitungen werden wohl nicht ganz ausbleiben“, sagt Landeschef Bodo Pfalzgraf. „Aber die Einsatzkräfte werden ihr Mögliches tun, die Lage nicht eskalieren zu lassen.“ Bis zu 15 000 Menschen sollen nach Anmelderangaben am Abend von Kreuzberg ins „Zentrum der Macht“ ziehen. Im vergangenen Jahr war es so friedlich wie lange nicht - das ist die Messlatte.