Krim-Verlust führt zu Zerwürfnissen in ukrainischer Führung
Kiew (dpa) - Der Verlust der Halbinsel Krim an Russland hat schwere Zerwürfnisse in der ukrainischen Führung ausgelöst. Der kommissarische Verteidigungsminister Igor Tenjuch trat nach scharfer Kritik an mangelnden Befehlen für die Truppen auf der Krim zurück.
Im zweiten Anlauf nahm das Parlament in Kiew das Gesuch am Dienstag an. Als Nachfolger wählte die Oberste Rada den von Interimspräsident Alexander Turtschinow vorgeschlagenen Generaloberst Michail Kowal.
Zwei Monate vor der Präsidentenwahl kritisierte Kandidat Vitali Klitschko, die Regierung arbeite ineffektiv. Zudem würden nicht alle an der Koalition beteiligten Kräfte, darunter seine Partei Udar (Schlag), in die Entscheidungen einbezogen. Für Wirbel sorgte auch ein vermutlich abgehörtes Telefonat von Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko.
In dem bei YouTube veröffentlichten Gespräch mit Nestor Schufritsch von der prorussischen Partei der Regionen sagte die Politikerin über Kremlchef Wladimir Putin: „Ich bin selbst bereit, eine Kalaschnikow in die Hand zu nehmen und dem Dreckskerl in den Kopf zu schießen.“
Timoschenko bestätigte bei Twitter die Echtheit des Mitschnitts in weiten Teilen. Eine Passage, wonach sie den Einsatz von Atomwaffen gegen die russische Minderheit in der Ukraine gefordert haben soll, sei allerdings manipuliert worden, Timoschenko sprach von einer „Montage“.
Ihre Kandidatur bei der Präsidentenwahl am 25. Mai gilt als wahrscheinlich. Kritiker schlossen nicht aus, dass der zunächst von russischen Staatsmedien aufgegriffene Mitschnitt ein Teil von Timoschenkos Wahlkampagne ist. Damit wolle sich die 53-Jährige, der immer wieder enge Bande mit Putin nachgesagt werden, als Nationalistin beweisen und im antirussisch geprägten Westen des Landes Stimmen sammeln.
Auch Gesetzlosigkeit und der große Einfluss ultranationalistischer Kräfte erschweren die Arbeit der Regierung um Ministerpräsident Arseni Jazenjuk. In der westukrainischen Stadt Rowno wurde bei einem Polizeieinsatz Alexander Musytschko erschossen, ein führendes Mitglied der militanten Gruppe Rechter Sektor.
Das Innenministerium betonte, der als „Saschko Bilyj“ bekannte Aktivist habe bei einem Festnahmeversuch das Feuer eröffnet. Hingegen berichteten örtliche Medien, Einsatzkräfte hätten den überwältigten Musytschko mit gezielten Schüssen in die Brust ermordet. Der einflussreiche Rechte Sektor kündigte Rache an.
In der ostukrainischen Region Donezk zeigte sich Gouverneur Sergej Taruta besorgt wegen eines mutmaßlichen russischen Truppenaufmarsches an der nahen Grenze. Putins Sprecher Dmitri Peskow wies jedoch Berichte über eine hohe Militärkonzentration als unbegründet zurück. Demonstrativ gelassen reagierte Peskow auf den vorläufigen Ausschluss Russlands aus den G8. Die Weigerung der G7 zu einer Kooperation mit Russland sei zwar „kontraproduktiv“. Moskau sei aber weiter zur Zusammenarbeit auf allen Ebenen bereit, betonte er.
Der Sprecher kündigte an, dass Putin die Krim besuchen werde, „aber nicht in nächster Zeit“. Die dort stationierten ukrainischen Soldaten erhielten freies Geleit von der Halbinsel, betonte Peskow. „Ob mit oder ohne Waffen, muss aber das (russische) Verteidigungsministerium entscheiden“, sagte Peskow. Nach Angaben des zurückgetretenen ukrainischen Ressortchefs Tenjuch wollten etwa 6500 Soldaten und Angehörige von insgesamt mehr als 18 000 ins Kernland zurückkehren.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) erhob Foltervorwürfe gegen prorussische Milizen auf der Krim. Ukrainische Aktivisten seien von moskautreuen Einheiten verschleppt und tagelang misshandelt worden. „Seit Wochen dürfen irreguläre bewaffnete Einheiten auf der Halbinsel Amok laufen ohne offensichtliche legale Befugnis“, erklärte HRW-Experte Hugh Williamson. Dies habe auf der von der Ukraine abtrünnigen Krim zu „Unsicherheit, mutwilligen Festnahmen, Verschleppungen sowie Folter“ geführt.