Kritik am beschleunigten Sonderverfahren

Berlin (dpa) - Wer ein Spenderorgan braucht, hofft auf Gerechtigkeit bei der Zuteilung. Doch der Weg der Organe ist nicht immer gleich. Das beschleunigte Sonderverfahren erregt bei Experten Argwohn.

Jede dritte Spenderleber, mehr als jedes fünfte Herz und fast die Hälfte der Bauchspeicheldrüsen erreichen die todkranken Empfänger nicht nach den üblichen Regeln. Führen diese Sonderwege zur Willkür in dem hochsensiblen Bereich? Oder sorgen sie dafür, dass möglichst viele Menschen auch wirklich ein lebensrettendes Organ bekommen?

Die Fragen sind nicht neu - eindeutige Antworten stehen seit Jahren aus. Bereits 2009 meldeten Experten im Regierungsauftrag Bedenken an. Beschleunigten Verfahren, so die Prüfer damals, mangele es an Transparenz. In den Kliniken würden die Fälle zu wenig dokumentiert.

Warum werden für manche Patienten überhaupt andere Maßstäbe angelegt, als die grenzüberschreitenden Eurotransplant-Kriterien wie zu erwartender Erfolg, Dringlichkeit und Wartezeit? Die Schnellverfahren gibt es wegen einer zunehmenden Zahl problematischer Organe, die von mehreren Kliniken aus medizinischen Gründen abgelehnt werden - es bleibt dann schlicht keine Zeit, um sie noch dem normalen Vergabeverfahren zu unterwerfen. Am Ende entscheiden die Ärzte in einem Transplantationszentrum selbst, wer dafür am geeignetsten ist.

Axel Rahmel ist Medizindirektor bei Eurotransplant im niederländischen Leiden. Die Stiftung kümmert sich um die Zuteilung von Spenderorganen in Deutschland und sechs anderen europäischen Ländern - und veröffentlicht regelmäßig Zahlen zu den Schnellverfahren. „Es werden immer mehr Organe verwendet, die vor 10, 20 Jahren nicht verwendet worden wären“, sagt Rahmel. „Das beschleunigte Verfahren sorgt dafür, dass die Organe nicht verlorengehen.“

Schwer vermittelbare Organe sollen in einer Region bleiben. Ziel: eine kurze Transportzeit. „Dies kommt der Erfolgsaussicht der Transplantation dieser Organe zugute“, versichert Rahmel. „Die Ärzte in den Zentren entscheiden dann stärker selbst, sind aber natürlich an die im Transplantationsgesetz genannten Kriterien Dringlichkeit und Erfolgsaussicht bei der Auswahl des am besten geeigneten Patienten gebunden.“

Halten sich die Mediziner stets daran? Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery räumt ein: „Das ist für auf den ersten Blick schwerer nachzuvollziehen.“ Besonderheiten seien bislang aber nicht aufgefallen. Doch der Anstieg der Schnellvergaben müsse weiter untersucht werden. Noch vor zehn Jahren kam nur ein Bruchteil der Spenderorgane auf diesem Weg zu den Patienten.

Richtig zufrieden ist auch Eurotransplant nicht mit der Lage. „Das beschleunigte Verfahren ist eine Kompromisslösung in einer Situation, wo ein Organverlust droht.“ Medizindirektor Rahmel meint: Mit mehr Daten, gar kompletten Datensätzen von Spender- und Empfängerfaktoren in einer einheitlichen, umfassenden Erfassung könnte es maßgeschneiderte Organangebote für alle Patienten auf der Warteliste geben.

In Deutschland ist das Vertrauen in die Transplantationsmedizin durch die Klinikskandale ohnehin erschüttert. Grüne und SPD verlangen nun dringend mehr Aufklärung auch über die Schnellverfahren. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sieht den starken Anstieg in diesem Bereich als medizinisch kaum zu erklären an. „Da müssen die Alarmglocken schrillen, Unregelmäßigkeiten sind nicht auszuschließen.“ Der Grünen-Abgeordnete Harald Terpe fordert: „Die Organvergabe muss zweifelsfrei missbrauchsfrei sein, damit nicht das Gefühl bleibt, hier werde nach Gutdünken agiert.“

Schon macht in der Branche ein schlimmes Gerücht die Runde. In einer deutschen Klinik sei ein Organ im beschleunigten Verfahren für einen dafür ausersehenen Empfänger absichtlich abgelehnt worden, um es für einen anderen zu nutzen. Kennt Montgomery so einen Vorgang? „Mit sind jetzt ad hoc keine derartigen Fälle bekannt“, sagt er. „Dass man sie vermuten kann angesichts der Verantwortungsübertragung, die da stattfindet, mag ja sein.“ Wer keine Beweise habe, solle auch keine Gerüchte streuen.