„Fünf Jahre Zeit gekauft“ Macrons Marsch steht erst am Anfang
Paris (dpa) - Eine Schonfrist hat er nicht. Emmanuel Macron muss nur 15 Stunden nach seinem Sieg schon präsidiale Statur beweisen. Vor dem Pariser Triumphbogen ertönt die Marseillaise, ranghohe Militärs schütteln ihrem künftigen Oberbefehlshaber die Hand - mitten im Pomp der Französischen Republik.
Im Windschatten seines Vorgängers François Hollande stakst Macron durch das traditionelle Ritual zum Jahrestag des Kriegsendes 1945. Hollande hat seinen designierten Nachfolger eingeladen, dabei zu sein. Die Geste ist eines dieser Symbole, die in der französischen Politik ein so viel größeres Gewicht haben als in Deutschland. Am Sonntag übernimmt der 39-Jährige die Startcodes für Frankreichs Atombomben.
Am Tag nach der großen Erleichterung über die Niederlage der Rechtspopulistin Marine Le Pen wird vor allem die riesen Verantwortung deutlich, die nun auf den Schultern dieses politischen Newcomers lastet. „Emmanuel Macron trägt die Hoffnung von Millionen von Franzosen - auch von vielen Menschen in Deutschland und ganz Europa“, sagt die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin.
Zugleich scheint sich auch Macron des schalen Beigeschmacks seines Wahlsiegs bewusst zu sein. Es ist ein Erfolg mit vielen „Aber“. Er hat Le Pen mit 66 zu 34 Prozent geschlagen, aber so viele Menschen wie nie haben die Front National gewählt.
Frankreich ist tief gespalten. Macron weckt bei manchen Franzosen riesige Hoffnungen, aber ein großer Teil seiner Wähler hat eher mangels Alternative für ihn gestimmt. Er hat die alten Gewissheiten der französischen Politik hinweggefegt. Aber ob er sein Versprechen eines neuen Weges jenseits von „rechts gegen links“ jetzt auch in praktische Politik übersetzen kann, ist fraglich.
„Wir haben (...) den klinischen Tod vermieden, aber die Krankheit bleibt“, schreibt der französische Essayist Raphaël Glucksmann in der Zeitung „Le Monde“. „Wir haben am Sonntag fünf Jahre gekauft, um zu verändern. Frankreich zu verändern, Europa zu verändern und uns selbst zu verändern.“
Zwei große Stolpersteine liegen schon in den kommenden Wochen auf dem Weg von Emmanuel Macron: die Bildung einer Regierung und die Parlamentswahlen im Juni. Sie können darüber entscheiden, ob der Senkrechtstarter während seiner Amtszeit auf Reiseflughöhe bleiben kann oder eine Bruchlandung hinlegt.
Die Wahl seines Premierministers ist schwierig. Macron braucht einen erfahrenen Politiker, um das Defizit seiner eigenen kurzen Polit-Laufzeit auszugleichen. Zugleich muss der Regierungschef (oder die Regierungschefin) aber den politischen Neuanfang vertreten, den Macron als Kandidat jenseits der traditionellen Parteien gelobt hat. Und es gibt eine strategische Frage: Ob er eine Persönlichkeit eher aus dem rechten oder linken Spektrum der politischen Mitte wählt, verändert die Ausgangslage mit Blick auf die Parlamentswahlen.
Auch deshalb kommen Medien, die über mögliche Kandidaten für das Amt des Premierministers nachdenken, auf gut ein Dutzend Namen. Macron will sich bis zur Amtsübergabe im Élysée bedeckt halten.
In jedem Fall werden die Parlamentswahlen zur dritten Runde der Präsidentenwahl. Wähler, die nur mit der Faust in der Tasche für Macron gestimmt haben, um Le Pen zu verhindern, könnten ihre Kritik an seiner Linie hier zum Ausdruck bringen. Laut einer Ipsos-Umfrage wollen 61 Prozent der Stichwahl-Wähler nicht, dass Macron eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung bekommt. Ohne Mehrheit schrumpft aber sein Handlungsspielraum zusammen.
Wenn seine Bewegung „En Marche“ zumindest stärkste Kraft würde, könnte er versuchen, eine Koalition zu bilden. Aber das dürfte im Land des Mehrheitswahlrechts und einer von Konfrontation geprägten politischen Kultur kein Zuckerschlecken werden. Und etwa die konservativen Republikaner müssten ihrem eigenen Lager erstmal verkaufen, warum sie diesen Präsidenten unterstützen, der ihnen doch die sicher geglaubte Präsidentschaft weggeschnappt hat und den sie im Wahlkampf noch als Zögling Hollandes beschimpft haben.
Und dann ist die rechte Front National mit der Schlappe von Marine Le Pen ja nicht einfach in der Versenkung verschwunden. Im Gegenteil: Die 48-Jährige hat umgehend deutlich gemacht, dass sie sich als lauteste Opposition gegen Macron positionieren will. Sie dürfte Macron auch in Zukunft als „Globalisierer“ attackieren, die Feindbilder des Wahlkampfs weiter kultivieren. Die Wahl hat verdeutlicht, dass ein nicht so kleiner Teil der Franzosen empfänglich ist für die einfachen Antworten Le Pens.
Sie hat bereits angekündigt, ihre Partei nun umzubauen, sogar der Name steht zur Disposition. Ihr Résumée scheint zu sein, dass ihre Strategie der „Entteufelung“ der rechtsextremen Partei die richtige war, aber noch nicht weit genug ging - trotz ihres gemäßigteren Auftretens löst die FN bei vielen Franzosen noch Ängste aus.
Falls Le Pen nun versuchen sollte, die Partei weiter zur Mitte zu öffnen, könnte sie aber zugleich den radikaleren Flügel um ihre Nichte Marion Maréchal-Le Pen vor den Kopf stoßen - ein neuer Familienkrach scheint da nicht ausgeschlossen. Doch Marine Le Pen scheint entschlossen, den Platz der FN in der französischen Polit-Ladschaft weiter zu festigen.
Macron hat versprochen, alles zu tun, damit es in fünf Jahren keinen Grund mehr gibt, Extreme zu wählen. Er sollte sich beeilen. In Paris scheint für viele klar: Wenn Macron scheitert, siegt Le Pen 2022.