Porträt McCain hinterlässt großen Fußabdruck
Washington (dpa) - Es ist eine Szene aus dem US-Senat, die immer wieder im Fernsehen gezeigt wird, auch im Ausland. Es geht um die Abschaffung von „Obamacare“, und diesmal scheinen die Republikaner nahe am Ziel.
Alles hängt nun an einem Mann.
Langsam geht John McCain ins Zentrum des Rampenlichts, dann dreht er den Daumen nach unten. Es ist das Ende für das Gesetzesvorhaben seiner Parteifreunde.
Er hatte es wieder getan: Courage gezeigt, sich widersetzt, ganz der „Maverick“, der Querdenker, die Idealfigur des Unangepassten - ein Image, das sich John McCain in den Jahren seiner politischen Karriere aufgebaut und sorgsam gepflegt hat. Er machte Trump einen Strich durch die Rechnung bei dessen Herzensanliegen, die ihm verhasste Krankenversicherung seines Vorgängers abzuschaffen. Erst vor wenigen Tagen hatten Ärzte da bei McCain einen Gehirntumor entdeckt, ein Glioblastom. Das war im Sommer 2017.
Nun, ein Jahr später, hat dieser Mann seinen letzten Kampf verloren - und Amerika mit ihm einen der wichtigsten Politiker der Gegenwart, einen aus der schwindenden Zahl jener, die sich im Laufe der Jahre große Achtung über Parteigrenzen hinweg erworben haben. McCain starb am Samstag um 16.28 Uhr im Kreise seiner Familie, wie sein Büro mitteilte. „Bis zu seinem Tod hatte er den Vereinigten Staaten von Amerika sechzig Jahre treu gedient“, hieß es in der Erklärung.
Mehr als einmal hat McCain seinen eigenen konservativen Kollegen in die Suppe gespuckt, sich auf die andere Seite geschlagen. Er war milder in Immigrationsfragen als seine Parteifreunde, strikt gegen Folter, für Transgender im Militär. Und: Seit dem Amtsantritt von Donald Trump entwickelte er sich zu einem der schärfsten Kritiker des Präsidenten unter den Republikanern, oft mit knüppelharten Attacken.
McCains letzte Abstimmung im Senat war am 7. Dezember 2017. Als einer von wenigen Republikanern stimmte er gegen eine temporäre Übergangsfinanzierung der Regierung. Er sagte damals, er tue das, weil diese nur begrenzte Finanzierung dem Militär schade. Wenige Tage später teilte sein Büro mit, McCain lasse sich Zuhause in Arizona behandeln, er wolle im Januar nach Washington zurückkehren. Es sollte anders kommen. Die vergangenen Monate verbrachte der schwer kranke Senator in der Heimat.
McCain war im Kern immer ein Konservativer, ein Abtreibungsgegner etwa, ein stolzer „Reagan-Republikaner“. Nach Berechnungen der Nachrichtenseite FiveThirtyEight stimmte er in gut 90 Prozent aller Fälle im Sinne von Trump.
Sicherheitspolitisch war McCain stets ein ausgesprochener Hardliner. Einer mit tiefem Misstrauen gegen die traditionellen Feinde der USA wie Russland und China. Trumps seltsame Hinwendung zu Russland war ihm stets ein Dorn im Auge. Dessen Gipfel mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin im Juli bezeichnete er als den „schändlichsten Auftritt eines amerikanischen Präsidenten in der Erinnerung“.
Kritiker sahen in McCain einen „Überhawk“ - einen ausgeprägten Falken und Verfechter militärischer Stärke. Im Irakkrieg unter George W. Bush etwa rief er nach mehr US-Truppen, in Syrien drang er früh auf Bombardierungen durch die Luftwaffe und Unterstützung der Rebellen. In der Ukraine forderte McCain laut Waffenhilfe für Kiew. Fast immer lautete sein Credo: Härte ist besser als Vertrauen.
Der Schlüssel für vieles, was den Politiker und Menschen McCain ausmachte, lag in seiner Familiengeschichte und seiner späteren Kriegsgefangenschaft.
John Sidney McCain III kam am 29. August 1936 auf einer Marinebasis in Panama zur Welt. Sowohl sein Vater als auch sein Großvater waren Admiräle - keine Frage für John, dass er versuchen würde, in ihre Fußstapfen zu treten. Nach der High School besuchte er die Marineakademie in Annapolis, nach einem nicht gerade fulminanten Abschluss diente er von 1958 bis 1981 in der Navy.
Am 26. Oktober 1967 geschah, was ihn wohl prägte wie nichts anderes. John McCain wurde über Nordvietnam abgeschossen, brach sich beide Arme und ein Bein. Fünfeinhalb Jahre verbrachte er in Kriegsgefangenschaft in Hanoi, mit Folter und Einzelhaft. Er lehnte eine vorzeitige Freilassung ab, seien doch Kameraden länger in Haft als er. Für den Rest seines Lebens konnte er seine Arme nicht über Schulterhöhe heben. Viele Amerikaner verehrten McCain als Kriegshelden.
Seine politische Karriere startete McCain 1977, zunächst als Verbindungsmann der Marine zum Kongress. 1983 wurde er selbst Abgeordneter, 1987 zog er in den Senat ein. Im Jahr 2000 versuchte er sich erstmals als Präsidentschaftsbewerber, 2008 ein zweites Mal und wurde Kandidat seiner Partei.
Dazu rückte er innerparteilich nach rechts und gab damit Kritikern Wasser auf die Mühlen. Manche haben ihm angelastet, dass er längst nicht so geradlinig gewesen sei, wie er auf viele gewirkt habe. Bei allem, auch seinem Parteirebellentum, sei es immer zuallererst um sich selbst gegangen.
McCain verlor die Präsidentenwahl von 2008 gegen Barack Obama, dazu beigetragen hat wohl auch der möglicherweise größte politische Fehler seiner Karriere: seine Entscheidung für die völlig unbeleckt erscheinende Sarah Palin als Vize-Kandidatin. Nach der Niederlage widmete sich McCain wieder voll seiner Arbeit im Kongress.
Sein Fußabdruck ist gewaltig, auch im Ausland wurde der hochdekorierte Mann als Sicherheitsexperte hoch geschätzt. Dort kam auch gut an, dass er sich zu einem der wenigen offenen Kritiker Trumps im eigenen Lager entwickelte, oft in beißender Schärfe, manchmal beinahe fassungslos.
Mehr als einmal warf er dem Präsidenten mangelhaftes Wertebewusstsein, Unwissenheit und Impulsivität vor. Aber auch McCain selber war dafür bekannt, schnell auszurasten, oft soll er dabei sogar vulgäre Schimpfworte gebraucht haben. Das soll auch neben seinem frühzeitig weißen Haar zu seinem Spitznamen „weißer Tornado“ beigetragen haben.
Für Medien war McCain attraktiv, einer ihrer ausgesprochenen Lieblinge, weil er ein offenes Wort pflegte und in Zeiten oft holzschnittartiger Vereinfachung in der Lage war, politische Komplexität angemessen darzustellen. Und weil er in so vielen Dingen das genaue Gegenteil von Donald Trump war.
In den Stunden nach seinem Tod verbreitet sich ein Video in sozialen Medien, es wird hundertfach geteilt. Es ist eine Szene aus dem Wahlkampf 2008, McCain steht auf einer Bühne und beantwortet Fragen. Eine Frau sagt: „Ich kann Obama nicht vertrauen. Ich habe über ihn gelesen, und er ist nicht, ähm, er ist ein Araber“. Es ist eine beliebte Verschwörungstheorien unter Rechten, dass Obama in Kenia geboren worden sei und den Zweitnamen Mohammed trage.
McCain schüttelt den Kopf, unterbricht die Frau, nimmt ihr das Mikrofon aus der Hand und verteidigt seinen Konkurrenten Obama. „Nein, Ma'am“, sagt er. „Er ist ein respektabler Familienmensch und Bürger, mit dem ich einfach nur Meinungsverschiedenheiten bei grundlegenden Fragen habe, und darum geht es in diesem Wahlkampf.“
Keine Frage: John Sidney McCain III hinterlässt neben seiner Frau Cindy und sieben Kindern aus zwei Ehen eine große Lücke und ein schillerndes politisches Vermächtnis.