Menschenrechtsgericht verurteilt Schweiz
Straßburg (dpa) - In Deutschland gilt die Schweiz oft als Paradies für Steuerflüchtige. Nun steht das Land am Pranger, weil es mit einem Schweizer Steuerbetrüger zu hart umgangen ist.
Das Alpenland muss einem verurteilten Steuerstraftäter eine Entschädigung bezahlen, weil sie gegen das Recht auf ein faires Strafverfahren verstoßen hat. Das entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit einem am Donnerstag verkündeten Urteil (Beschwerde-Nr. 11663/04).
Die eidgenössischen Behörden hatten einem auf den Bermuda-Inseln lebenden Schweizer eine Geldbuße auferlegt, weil er sich geweigert hatte, Informationen über sein Einkommen offenzulegen. Da gegen ihn zugleich wegen Steuerhinterziehung ermittelt wurde, habe die Anordnung gegen den Grundsatz verstoßen, dass sich niemand in einem Strafverfahren selbst belasten müsse, entschied der Gerichtshof.
Darüber hinaus hätten die Steuerbehörden den Grundsatz der Waffengleichheit verletzt, da sie dem Beschuldigten nicht die Ermittlungsakten zur Einsicht gegeben hätten. Zur Begründung hieß es, dass sich darin bei Dritten beschlagnahmte Beweisstücke befänden, und dass das Einverständnis der anderen Betroffenen erforderlich sei. Auch diese Weigerung sei ein Verstoß gegen das in der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierte Recht auf ein faires Verfahren, entschieden die Straßburger Richter.
Die Schweiz wurde zur Zahlung einer Entschädigung von knapp 3600 Euro an den Antragsteller verurteilt. Außerdem muss sie ihm Kosten und Auslagen in Höhe von rund 7200 Euro ersetzen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
In dem Steuerstrafverfahren war der Antragsteller zu einer Geldstrafe von 1,3 Millionen Schweizer Franken (ca. 870 000 Euro) und einer Steuernachzahlung von 2,3 Millionen Franken (ca. 1,5 Millionen Euro) verurteilt worden; die Nachzahlungssumme wurde später reduziert.
In Deutschland müssen Steuerpflichtige grundsätzlich bei der Steuerfestsetzung mitwirken. Sobald aber wegen Steuerhinterziehung ermittelt wird, endet die Mitwirkungspflicht, um zu vermeiden, dass der Beschuldigte sich unter Umständen selbst belasten muss.