Merkel und Gabriel trotz AfD-Triumphs gegen Kurswechsel
Berlin (dpa) - Trotz AfD-Triumphs und starker Verluste der Volksparteien bei den Landtagswahlen lehnen Bundeskanzlerin Angela Merkel und die SPD Korrekturen an ihrer Flüchtlingspolitik ab.
CSU-Chef Horst Seehofer fordert dagegen dringender denn je einen anderen Kurs. Die etablierten Parteien und die Wirtschaft zeigten sich tief besorgt über den Siegeszug der AfD bei den drei Wahlen vom Sonntag. SPD-Chef Sigmar Gabriel betonte: „Wir werden den Populisten nicht hinterherlaufen.“ Die Parteien stehen in allen drei Ländern vor einer schwierigen Regierungsbildung in teils unerprobten Bündnissen.
Nach ihren Erfolgen im Zuge der Flüchtlingskrise sitzt die rechtskonservative Alternative für Deutschland (AfD) nun in 8 der 16 Landtage. Ein Rekordergebnis erzielte sie mit 24,2 Prozent in Sachsen-Anhalt. Sie landete hier wie in Baden-Württemberg vor der SPD. Die CDU erlitt in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz historische Niederlagen. Im Südwesten überholten die Grünen von Ministerpräsident Winfried Kretschmann erstmals die CDU.
In Sachsen-Anhalt gewann Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) nach einem Merkel-kritischen Kurs. Die SPD behauptete in Rheinland-Pfalz mit Regierungschefin Malu Dreyer Platz 1. Für Gabriel zeigt das Ergebnis in diesem Land, dass die SPD weiter Volkspartei ist.
CDU-Chefin Merkel sagte in Berlin: „Trotz Licht und Schatten muss man sagen, dass gestern ein schwerer Tag für die CDU war.“ Bestimmend sei gewesen, dass es in der Flüchtlingsfrage „noch keine abschließende Lösung“ gebe. Einig sei man sich in den Parteigremien gewesen, „dass man sich argumentativ mit der AfD auseinandersetzen muss“.
Zwischen Merkel und Seehofer brach der Streit neu aus. Der Ausgang der Wahlen sei für CDU und CSU „eine Existenzfrage“, sagte der CSU-Chef. „Aus dem Sinkflug kann ein Sturzflug werden, kann auch ein Absturz werden.“ Merkel widersprach: „Ich sehe es nicht als ein existenzielles Problem der CDU, aber ich sehe es als Problem.“ Seehofer sprach hingegen von einem „politischen Erdbeben“ und sagte: „Nur eine Veränderung der Politik wird die AfD überflüssig machen und den Spuk dieser Gruppierung beenden.“
Auch Haseloff forderte Konsequenzen. „Rechts von der CDU/CSU darf es keine demokratische Alternative geben“, sagte er. Nach den drei Landtagswahlen von Sonntag „können wir nicht so weitermachen“.
Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) verteidigte Merkels Kurs und mahnte CDU und CSU zugleich zur Geschlossenheit. „Wenn es tatsächlich weiter Streit gäbe, dann wäre das wirklich ein Programm zur Stärkung der AfD“, sagte er in der ARD.
Merkel schloss eine Vertrauensfrage im Bundestag aus. Gabriel bekannte sich zum Fortbestand der Koalition. Aber die Union müsse ihre „Chaostage“ beenden, sagte er im ARD-„Brennpunkt“. Die SPD müsse „gar nichts nachjustieren“. Merkel und Gabriel betonten, auf die Flüchtlingsfrage seien europäische Antworten nötig.
Der Co-Vorsitzende der AfD, Jörg Meuthen, sieht seine Partei als feste politische Kraft und breit verankert in der Gesellschaft. „Unsere Wähler bilden einen ganz guten Querschnitt der Bevölkerung ab.“ Die Parteien müssten sich nun daran gewöhnen, „dass sich eine neue konservative, freiheitliche, bürgerliche und weltoffen-patriotische Kraft in Deutschland etabliert“. Der Thüringer AfD-Fraktionschef Björn Höcke sprach von einer „neuen Epoche“.
In allen drei Ländern sind die bisherigen Koalitionen abgewählt - die Ministerpräsidenten Kretschmann, Dreyer und Haseloff können dennoch hoffen, in anderer Konstellation weiterzuregieren.
In Baden-Württemberg sind die Grünen von Kretschmann nach dem vorläufigen Ergebnis erstmals in der deutschen Geschichte stärkste Partei. Eine Fortsetzung von Grün-Rot ist wegen der Schwäche der SPD unmöglich. Damit kommt in erster Linie ein Bündnis von Grünen und CDU in Frage. Eine rechnerisch mögliche rot-gelb-grüne Ampel ist laut FDP-Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke nicht vorstellbar. Der Ambition des CDU-Spitzenkandidaten Guido Wolf auf eine schwarz-rot-gelbe „Deutschland-Koalition“ erteilte der SPD-Landesvorstand eine Absage.
Wahlsieger Kretschmann beginnt am Mittwoch Sondierungsgespräche mit FDP, SPD sowie der CDU. „Wir müssen alles dafür tun, dass sich die Rechtspopulisten nicht in die Mitte der Gesellschaft vorarbeiten und dass sie wieder an Zustimmung verlieren“, sagte er in Stuttgart. Deshalb sei es wichtig, eine stabile Regierung zu bilden.
In Rheinland-Pfalz verwies die SPD von Dreyer die CDU mit Herausforderin Julia Klöckner auf Platz zwei - Rot-Grün ist aber passé. Möglich wäre eine große Koalition, Dreyer strebt aber ein Dreierbündnis mit Grünen und FDP an. Der SPD-Landesvorstand beschloss die Aufnahme entsprechender Sondierungsgespräche. Eine große Koalition mit der CDU sei nur „ultima ratio“ (letztes Mittel), sagte Dreyer. Sie werde aber mit allen, außer der AfD, Gespräche führen.
Klöckner verteidigte ihr Abrücken von Merkels Asylpolitik in ihrem Wahlkampf: „Wir hätten noch mehr verloren an die AfD, wenn wir uns nicht klar positioniert hätten in dieser Frage.“ Sie will trotz der Schlappe an der Landesparteispitze bleiben. Der Landesvorstand habe sie darum gebeten, sagte sie am Abend. „Ich stehe zur Verfügung.“ Die Landes-CDU hatte ihr bisher schlechtestes Ergebnis erzielt.
In Sachsen-Anhalt ist nach dem Aus für Schwarz-Rot nur eine in den Ländern noch nie erprobte Dreierkoalition von CDU, SPD und Grünen realistisch. Haseloff sagte: „Wir werden eine Regierung der Mitte bilden, und der Wähler hat uns ins Stammbuch geschrieben, wie diese Mitte derzeit auszusehen hat.“
Der bei der Wahl abgestrafte Linke-Spitzenkandidat Wulf Gallert kündigte an, nicht wieder als Landtagsfraktionschef zu kandidieren. Die Partei war auf Platz drei hinter der AfD gestürzt.
Die vorläufigen Ergebnisse im Überblick:
BADEN-WÜRTTEMBERG: Grüne 30,3 Prozent (47 Sitze), CDU 27,0 (42), SPD 12,7 (19), FDP 8,3 (12), AfD 15,1 (23).
RHEINLAND-PFALZ: SPD 36,2 Prozent (39 Sitze), CDU 31,8 (35), AfD 12,6 (14), FDP 6,2 (7), Grüne 5,3 (6).
SACHSEN-ANHALT: CDU 29,8 Prozent (30 Sitze), SPD 10,6 (11), Linke 16,3 (17), Grüne 5,2 (5), AfD 24,2 (24).
Die deutsche Industrie zeigte sich angesichts der AfD-Erfolge besorgt um den Wirtschaftsstandort. Der Zentralrat der Juden sieht einen „Rechtsruck der Gesellschaft“ und mahnte zum Zusammenstehen.