Merkels Mandat und der kurze Moment der Harmonie
Berlin (dpa) - Für die Verstärkung des Euro-Schutzwalls holt die Kanzlerin auch die Opposition ins Boot - und fährt mit breiter Rückendeckung zum EU- Gipfel. Sogar die Kanzlermehrheit erreicht Schwarz-Gelb.
Die Einigkeit im Bundestag erweist sich aber als brüchig.
Ein Bild mit Symbolcharakter: Als die Kanzlerin in den Plenarsaal kommt, sucht sie die Nähe der Opposition. Schnurstracks geht Angela Merkel (CDU) zu den SPD-Spitzenleuten Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier, gibt auch Grünen-Fraktionschefin Renate Künast die Hand. Dann beginnt die Debatte über die umstrittene Aufrüstung des Euro-Schutzschirms EFSF, über die Merkel am Abend beim EU-Gipfel verhandeln soll. Das Mandat dafür muss ihr der Bundestag am Mittwoch erst mitgeben. Koalition, SPD und Grüne haben dafür sogar eine gemeinsame Resolution vorbereitet. Doch europapolitische Harmonie schimmert nur kurz auf.
In ihrer Regierungserklärung wirbt Merkel nachdrücklich für die schwierigen Rettungsaktionen der Euro-Partner, mit denen sie wenige Stunden später in Brüssel zusammenkommen will. Sie sei dankbar, dahin die Botschaft des Parlaments mitnehmen zu können, „dass Deutschland parteiübergreifend das europäische Einigungswerk schützt“, sagt die Kanzlerin, die sonst eher den nüchternen Ton schätzt.
Angesichts der „schwersten Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs“ dürfe sich die jetzige politische Generation nicht später nachsagen lassen, „vor der Geschichte versagt zu haben“, lautet ihr Appell. Niemand solle glauben, dass ein weiteres halbes Jahrhundert Frieden und Wohlstand selbstverständlich sei. Daher stehe sie auch zu ihrem Satz: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa.“
Wie die Ansteckungsgefahren des Sorgenkinds Griechenlands mit einer massiven Aufrüstung des Rettungsschirms EFSF eingedämmt werden sollen, erklärt Merkel den Abgeordneten mit den technischen Details. Und räumt ein, dass alle dabei „Neuland“ beträten. Ob die Instrumente zur Vervielfachung der EFSF-Schlagkraft die Ausfallrisiken erhöhen, könne niemand abschließend abschätzen - aber auch nicht ausschließen. Sie komme jedenfalls zu der Abwägung, dass das Risiko vertretbar sei. Und dann „muss ich es eingehen“.
Neuland für die Kanzlerin ist auch, dass sie vor einem EU-Gipfel den Bundestag nicht nur informiert. Erstmals braucht sie nach dem Willen der Karlsruher Verfassungsrichter grünes Licht des Parlaments für ihr Verhandlungsmandat. Nach einigem Drängen der Opposition gab dies sogar das Plenum als Ganzes, nicht nur der geheim tagende Haushaltsausschuss.
Die gemeinsame Erklärung mit SPD und Grünen über die Bedingungen der EFSF-Verstärkung im Rücken lobt Merkel die Griechen, die harte Einschnitte auszustehen hätten. Auch die Finanztransaktionssteuer, die bei ihrem Koalitionspartner FDP auf wenig Freude stößt, erwähnt sie - unter rot-grünem Beifall. Und sie erwähnt sogar den Kampf gegen Steueroasen. Das lässt ihren früheren Finanzminister Peer Steinbrück lächeln, der diesmal aus der vierten Reihe zuhört, nachdem er bei der EFSF-Debatte vor vier Wochen noch das erste Wort für die SPD führte.
Nun geht SPD-Fraktionschef Steinmeier ans Pult und schaltet nach den eindringlichen Schlussworten der Kanzlerin auf Attacke. „Diese Regierung wird zu einer Hypothek für Europa, aber Europa darf an dieser Regierung nicht scheitern“, begründet er das Ja zur Resolution. Und wirft Schwarz-Gelb doch Unehrlichkeit beim Krisenmanagement vor. Es sei Merkelsches Gesetz: „Je bestimmter ich etwas ausschließe, desto bestimmter kommt es am Ende doch.“
FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle nimmt den Ball auf und lästert, das gehöre wohl zum „Showdown“ über den Kanzlerkandidaten der Sozialdemokraten. Linksfraktionschef Gregor Gysi kommentiert: „Es bringt nichts, Herr Steinmeier, wenn Sie hier den Oppositionellen spielen und in der Sache übereinstimmen.“ Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin mahnt Merkel, es sei falsch gewesen, die Menschen lange über die Risiken der EFSF-Verstärkung im Unklaren zu lassen - dennoch müsse dies getan werden.
Als Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt später die breite Mehrheit von 503 der 596 angegebenen Stimmen für Merkels Gipfelmandat verkündet, ist die schon weiter geeilt. Erst später steht fest: Die schwarz-gelbe Koalition hat bei der Abstimmung über die Stärkung unerwartet sogar die eigene Kanzlermehrheit erreicht - was die Kanzlerin sehr freuen dürfte.