Harte Kritik von allen Seiten Miserables Zeugnis für die große Koalition nach 100 Tagen

Berlin (dpa) - Die große Koalition erntet nach ihren ersten 100 Tagen scharfe Kritik von allen Seiten. Wirtschaft, Gewerkschaften, Kommunen und die Opposition werfen CDU/CSU und SPD Untätigkeit, das Setzen falscher Prioritäten und eine Selbstblockade durch den Unionsstreit in der Asylpolitik vor.

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Auch die Wähler sind von der bisherigen Regierungsarbeit enttäuscht: In einer YouGov-Umfrage im Auftrag der Deutschen Presseagentur zeigten sich mehr als zwei Drittel (69 Prozent) unzufrieden mit Schwarz-Rot. Allerdings meinen nur 30 Prozent, dass es eine Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und FDP besser gemacht hätte.

Die ersten 100 Tage gelten zwar als Schonfrist, aber auch als erste Bewährungsprobe einer neuen Regierung. Am Donnerstag erreichten Union und SPD diese Marke. Das Bündnis war im März nur unter großen Mühen nach dem Scheitern der Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen zustande gekommen. Es versinkt derzeit im Streit zwischen CDU und CSU über die Asylpolitik.

Industriepräsident Dieter Kempf forderte die Bundesregierung zu mehr Teamgeist auf. „Mich besorgt, dass in zentralen Fragen wie der Migrationspolitik immer wieder Uneinigkeit zwischen den Koalitionären hervortritt“, sagte der Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) der dpa. „Deutschland braucht jetzt Strategie- und Handlungsfähigkeit. Müsste diese Mannschaft zur WM antreten, wäre ich nicht sicher, dass alle ihre Aufgaben, Lauf- und Passwege kennen.“

Die deutsche Industrie erwarte von der Regierung, dass sie ein Stabilitätsanker der EU sei und bleibe. „Das gilt sowohl im lodernden Handelskonflikt mit den USA, aber auch im Hinblick auf die europäische Migrationspolitik und die dringend notwendige Weiterentwicklung der Eurozone.“ Nach 100 Tagen sei die große Koalition noch keine Koalition für die Wirtschaft.

DGB-Chef Reiner Hoffmann warf der Koalition vor, bei zentralen Themen für die Bürger bisher viel zu wenig unternommen zu haben. Die Regierung müsse einen Dialog über relevante Fragen anstoßen, die die Bürger wirklich bewegen. „Deren Lebenswelt ist zum Teil eine andere als aus dem politischen Berlin zu hören ist“, sagte der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds. „Die Menschen machen die Erfahrung, dass es keinen bezahlbaren Wohnraum gibt, die Verkehrsinfrastruktur grottig ist, dass die Situation in unseren Schulen zum Teil katastrophal ist. Das sind Themen, die in Angriff genommen werden müssen.“

Der Präsident des Deutschen Städtetags, Münsters Oberbürgermeister Markus Lewe (CDU), kritisierte ebenfalls den Streit zwischen CDU und CSU in der Flüchtlingspolitik und warnte: „Wir können uns keine Konflikte leisten, die uns lähmen.“ Er wünsche sich, dass die Union im Asylstreit „schnellstmöglich“ eine Einigung erziele, sagte Lewe der dpa. „Denn wir haben Herausforderungen, die immens sind. Dazu gehören gleichwertige Lebensverhältnisse. Dazu gehört die steigende Bevölkerungszahl. Dazu gehört ein riesiger Investitionsstau.“

Einhellig kritisierten - erwartungsgemäß - auch die Oppositionsparteien die große Koalition. „Wir haben als Freie Demokraten ein „Weiter so“ in der großen Koalition erwartet, also vier ambitionsfreie Jahre. Was wir erleben, ist aber ein „Schlimmer so““, sagte FDP-Chef Christian Lindner. Die Grünen-Fraktionschefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter meinten: „Noch nie ist eine deutsche Regierung derart fahrlässig mit ihrer Verantwortung umgegangen.“

Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel hofft auf ein baldiges Ende der Bundesregierung. „Für Deutschland und die Deutschen wäre es das Beste, wenn den ersten hundert Tagen dieser Regierung nicht noch einmal weitere hundert GroKo-Tage folgen“, sagte sie der dpa. Die Linken-Chefs Katja Kipping und Bernd Riexinger nannten die Zwischenbilanz der großen Koalition „erschreckend“.

In der YouGov-Umfrage bewertete sogar eine Mehrheit der Wähler der Regierungsparteien die große Koalition negativ. Im Unionslager sind es 54 Prozent. Die Wähler der SPD sind mit 74 Prozent sogar überdurchschnittlich unzufrieden.