Analyse Die Stiefschwesterparteien: Tiefe Wunden bei CDU und CSU

Berlin/Linz (dpa) - Gemeinsam betreten sie den Schlüterhof des Deutschen Historischen Museums. Die Fotografen warten schon. Als Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr aufmüpfiger Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) nebeneinander Platz nehmen, klicken die Kameras noch hektischer als sonst.

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Ein „Klagelied“ eröffnet die Gedenkstunde für die Opfer von Flucht und Vertreibung. Nichts könnte passender sein angesichts der Agonie, in die sich die sogenannten Schwesterparteien manövriert haben.

Auslöser ist der Streit über die Zurückweisung bereits registrierter Asylbewerber an der deutschen Grenze. Doch es hat sich auch noch anderer Frust aufgestaut. Und die absolute Mehrheit für die CSU in Bayern ist in Gefahr.

Seehofer ist bei diesem gemeinsamen Auftritt versöhnlich im Ton, hart in der Sache. In seinem knappen Grußwort sagt er: „Ein Dank an Sie Frau Bundeskanzlerin, Sie machen diesen Gedenktag zu etwas Besonderem.“ Eigentlich nur eine höfliche Floskel - es erklingt aber leiser Applaus. So aufgeladen ist die Stimmung schon. Dass die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU zerbricht - unter den Abgeordneten der Regierungskoalition halten das einige inzwischen nicht mehr für ausgeschlossen.

Dass die Kanzlerin jetzt mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron eine Einigung zum Eurozonen-Budget getroffen hat, bringt die CSU zusätzlich in Rage. Seehofer sagt: „Leider hat es im Vorhinein keine Abstimmung mit uns gegeben, und deshalb darf man sich jetzt nicht wundern, dass es viele Fragen und Interpretationen gibt.“ Noch sei nicht klar, ob die CSU das, was Merkel da mit Macron vereinbart habe, mittragen könne oder nicht.

Dass Merkel diese Woche im Libanon syrische Flüchtlingskinder trifft, die den Großteil ihrer Kindheit in Zelten oder schäbigen Hütten verbracht haben, macht es für Seehofer nicht leichter. Es könnten Bilder entstehen, die zeigen: Hier ist die Frau, die sich um Menschen in Not kümmert. Seehofer will nicht als hartherziger Mann dastehen. Er will keiner sein wie US-Präsident Donald Trump, der an der Grenze zu Mexiko Migrantenkinder von ihren Eltern trennen lässt.

Harmonischer ist es beim Treffen von Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder und Österreichs Kanzler Sebastian Kurz in Linz. Wenn es nach dem Willen und den Vorstellungen der befreundeten Männer ginge, wären Streitigkeiten über Grenzkontrollen, Asylverfahren oder die Zurückweisung von Flüchtlingen gar kein Thema.

Immerhin haben beide schon 2015 während der Flüchtlingskrise und damit zeitgleich zu Merkels Entscheidung, die deutsche Grenze für Flüchtlinge offen zu lassen, stets vor einer Rückkehr der innereuropäischen Grenzkontrollen gewarnt. „Uns verbindet, dass wir diese Position schon immer vertreten haben“, betont Söder.

Drei Jahre später heißt die deutsche Kanzlerin zwar immer noch Merkel, jedoch hat sich die Stimmung massiv verändert. Die Willkommenskultur der Deutschen für tausende Flüchtlinge ist verflogen. Stattdessen sind nationale Töne mit Slogans wie Sicherheit und Abschottung in aller Munde. Diese Position werde immer mehrheitsfähiger, sagt Söder. Kurz nickt.

Die Tagesbotschaft beim Treffen des bayerischen Kabinetts mit der österreichischen Regierung ist klar: Bei der Suche nach einer europäischen Lösung für die Zuwanderung hoffen die Merkel-Kritiker Söder und Kurz auf mehr politische Schlagkraft zur Durchsetzung ihrer „gemeinsamen Haltung im Geiste“, wie Söder es nennt.

Während Kurz diese Stimmung für die am 1. Juli startende Präsidentschaft Österreichs im Europäischen Rat braucht, hat Söder nur den 14. Oktober, die Landtagswahl in Bayern, im Blick. Und Söder weiß genau, dass der Ausgang des aktuellen Asylstreits am Ende auch maßgelblich über sein politisches Schicksal mitentscheiden wird.

„Wir setzen auf die Ratspräsidentschaft Österreichs und hoffen auf einen neuen Geist in der Europäischen Union“, sagt Söder. Angesichts der gemeinsamen Ziele in der Asylpolitik spielen die eigentlichen Probleme zwischen Bayern und Österreich kaum eine Rolle - allen voran die Blockabfertigung auf den Autobahnen nach Österreich, also die nach Kontingenten vorgegebene Abfertigung von Lastwagen, gegen die Deutschland sogar beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) klagt. Auch wenn Kurz zu Beginn extra vor Kameras betont, dass Freunde sich auch in strittigen Punkten offen die Meinung sagen könnten.

Für Söder bleibt die Hoffnung, dass sich Merkel bis zum EU-Gipfel Ende des Monats entweder mit einer europäischen Lösung durchsetzen kann - oder Seehofer nicht einknickt und damit alle Chancen auf einen Wahlerfolg der CSU zunichte macht. Damit eine Lösung auch wirklich so aussieht, wie die CSU es einfordert, hält er den Druck auf die Kanzlerin konstant hoch. So auch an diesem Mittwoch, wo er in Linz beinahe nebenbei auch Merkels Absprache mit Frankreichs Präsident Macron infrage stellt.

„Wir können jetzt nicht zusätzliche Schattenhaushalte auf den Weg bringen oder versuchen, die Stabilität der Währung aufzuweichen. Oder gar am Ende mit deutschen Zahlungen versuchen, irgendwelche Lösungen zu erreichen“, sagt Söder und warnt Merkel damit direkt davor, andere europäische Länder mit finanziellen Zusagen zu einer Zusammenarbeit in Asylfragen zu bewegen.

Blick zurück nach Berlin. Die Kanzlerin ist schon weg. Seehofer steht immer noch im Innenhof des Museums und fragt sich, wie es so weit kommen konnte. „Hier ist aus einer relativ kleinen Sache eine Riesenangelegenheit gemacht worden“, sagt er. „Das haben wir vielleicht selbst zu verantworten.“