Mutmacherin Merkel in Kundus
Kundus (dpa) - Der erste Gang im nordafghanischen Kundus führt Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Ehrenhain für die gefallenen Soldaten.
Auf den paar hundert Metern vom Hubschrauberlandeplatz dorthin hat sich ein eindrucksvoller Abzugs-Konvoi aufgestellt. 32 Lastwagen sollen Container und gepanzerte Fahrzeuge nach Masar-i-Scharif bringen. Von dort aus geht es weiter mit dem Flugzeug ins türkische Trabzon und dann per Schiff in die Heimat.
Für den Hauptfeldwebel, der am Samstag in einen Hinterhalt geriet und von Taliban aus nächster Nähe erschossen wurde, kommt der Abzug zu spät. Er ist der zwanzigste Bundeswehrsoldat aus dem Feldlager Kundus, der den Einsatz nicht überlebte. Sein Name fehlt allerdings als einziger an der Backsteinmauer, vor der Merkel gemeinsam mit Verteidigungsminister Thomas de Maizière der Gefallenen gedenkt.
Der 32-Jährige gehörte dem geheim operierenden Kommando Spezialkräfte (KSK) an. Selbst nach seinem Tod darf seine Identität nicht offenbart werden. Der evangelische Militärpfarrer Jochen Sennhenn spricht in der kurzen Andacht nur von dem Soldaten, „dessen Namen wir nicht kennen dürfen“. Merkel verfolgt die Zeremonie mit steinerner Miene.
Die Kanzlerin hatte den fünften Afghanistan-Besuch in ihrer fast achtjährigen Amtszeit lange vor dem Tod des KSK-Soldaten geplant. Aber jetzt ist er wichtiger denn je. Fast zwei Jahre hatte die Bundeswehr keine Verluste in Afghanistan zu beklagen.
Von erfolgreicher Übergabe der Verantwortung an die Afghanen war die Rede, von Vorbereitungen für den Abzug und einer verbesserten Sicherheitslage. Jetzt hat der Hinterhalt die brutale Realität des Krieges in Afghanistan wieder zurück in das Gedächtnis der deutschen Öffentlichkeit gerufen. „Jeder Gefallene ist ein schwerer Schlag für uns“, sagt Merkel in Kundus. „Da wir eine längere Zeit keinerlei Gefallene hatten, war es natürlich insofern auch ein Rückschlag.“
Merkel trifft in Kundus KSK-Soldaten, die ihren Kameraden verloren haben - hinter verschlossenen Türen, versteht sich. Sie ist vor allem gekommen, um die Leistungen der Soldaten zu würdigen und ihnen Mut zu machen. „Sie helfen nicht nur, die Sicherheit in Afghanistan zu verteidigen, sondern einen Beitrag zu leisten zu unser aller Sicherheit“, sagt sie. Deutschlands Sicherheit wird also - frei nach dem früheren SPD-Verteidigungsminister Peter Struck - immer noch am Hindukusch verteidigt.
Zu Hamid Karsai nach Kabul fliegt Merkel nicht - wie schon bei ihrer vorherigen Reise im März 2012 macht sie dem afghanischen Präsidenten nicht ihre Aufwartung. Die deutsche Botschaft informiert Karsais Regierung erst kurz vor Merkels Landung überhaupt davon, dass die Kanzlerin das Land besucht - aus Sicherheitsgründen, wie es aus deutschen Regierungskreisen heißt. Das zeigt, wie tief das Misstrauen sitzt: Die Deutschen befürchteten offenbar, vertrauliche Informationen über den Merkel-Besuch hätten von der Kabuler Regierung zu den Taliban durchsickern können.
In Kabul fühlt man sich durch solches Verhalten düpiert. Ein Karsai-Berater sagt am Freitag, es sei „ziemlich respektlos“, wenn ausländische Regierungsvertreter das Land besuchten, ohne die afghanische Regierung darüber vorab in Kenntnis zu setzen. Karsai wird nicht müde zu fordern, westliche Staaten sollten sein Land endlich wie einen souveränen Staat behandeln.
Für Merkel ist es wahrscheinlich der letzte Truppenbesuch in Kundus. Im Herbst soll das Lager nach fast zehn Jahren an die Afghanen übergeben werden. Die Symbolik des Namens wird aber bleiben. Er steht für den gefährlichsten Einsatz in der Geschichte der Bundeswehr. In Kundus wurden deutsche Soldaten erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wieder in stundenlange Gefechte verwickelt. Für diejenigen, die das erlebt haben, steht Kundus für Krieg.
Das erkannte auch Merkel an, als sie kurz vor Weihnachten 2010 Kundus besuchte. „Wir haben hier nicht nur kriegsähnliche Zustände, sondern Sie sind in Kämpfe verwickelt, wie man sie im Krieg hat“, sagte sie vor mehreren Hundert Soldaten. Damals hatte die Bundeswehr das schlimmste Jahr des Einsatzes mit neun Toten hinter sich. Jetzt geht es um die Vorbereitung der Zeit nach dem Nato-Kampfeinsatz, der am 31. Dezember 2004 enden soll.
Deutschland ist dabei am weitesten und hat als einziges Nato-Land bereits eine konkrete Zahl von Soldaten für eine Nachfolgemission angeboten. Bis zu 800 sollen es sein. Was genau auf sie zukommt, ist noch unklar. Einen Kampfauftrag wird es nicht mehr geben. Ausbildung und Beratung sollen im Mittelpunkt des neuen Mandats stehen. Aber auch das kann gefährlich sein.
Ein Oberfeldwebel der Schutzkompanie Kundus, dessen gepanzertes Fahrzeug vor wenigen Tagen die Wucht eines zehn Kilogramm schweren Sprengsatzes aushalten musste, hat für solche Unwägbarkeiten ein passendes Motto parat: „Ich sage meinen Männern immer: Das Beste hoffen, und auf das Schlimmste vorbereitet sein.“