Nach Flüchtlingspakt: In Idomeni stirbt die Hoffnung langsam

Idomeni (dpa) - Den gestrandeten Flüchtlingen in Idomeni bleibt keine Prüfung erspart. Noch vor einer Woche hatte es viele Tage hindurch unablässig geregnet, hatte sich das griechische Flüchtlingslager in eine Schlammwüste verwandelt.

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Am Samstag fegten heftige Sturmböen über die Ebene unmittelbar an der Grenze zu Mazedonien. Sie drohten die kleinen Zelte der Camp-Bewohner aus ihrer Verankerung zu reißen.

Eine Prüfung anderer Art hält für die immer noch 12 000 Menschen in Idomeni die große Weltpolitik bereit. Denn der Flüchtlingspakt, den die EU und die Türkei am Freitag in Brüssel beschlossen, betrifft nur Asylsuchende, die seit Sonntag über die Ägäis in Griechenland eingetroffen sind. Er enthält kein Wort darüber, was mit den Flüchtlingen geschehen soll, die schon jetzt in Griechenland sind. Die Regierung in Athen beziffert ihre Zahl mit rund 48 000. Ihr Schicksal bleibt vorerst ungewiss.

Die Komplexität der Abmachung aus dem fernen Brüssel vermittelt sich den Flüchtlingen nur schwer. Der 50-jährige Jassir, ein Facharbeiter aus der syrischen Hauptstadt Damaskus, hat lediglich mitbekommen, dass sich ab Sonntag etwas grundlegend ändert. „Man sagt, am Sonntag oder Montag geht hier die Grenze auf“, sagt er voller Zuversicht. Es ist eine Wunschprojektion, gespeist aus Unwissenheit und Realitätsverleugnung.

Vor allem jüngere Flüchtlinge sind besser informiert und begreifen ihre Lage schneller. Taher (22) aus Syrien weiß: „Diese neue Sache sagt nichts über uns aus.“ Er ist besorgt. „Wir würden schon gerne wissen, was aus uns werden soll.“ Sein Freund Amdschad (24) pflichtet ihm bei: „Viele Menschen hier haben Angst, dass nun auch sie in die Türkei deportiert werden können.“ Doch zumindest in dem Punkt ist der Flüchtlingspakt klar: er betrifft nur Migranten, die seit Sonntag auf irregulärem Weg nach Griechenland gekommen sind.

Der 24-jährige Ahmed kommt aus der westirakischen Stadt Falludscha, wo die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) Herr über Tod und Leben ist. Der junge Iraker behauptet, den aktuellen Nachrichten keinen großen Wert beizumessen. Aber auch er weiß, was Sache ist. „Was sollen wir machen?“, sagt er lakonisch. „Wir sind nun mal hier, um auf Gnade zu warten.“

Immer wieder diskutieren gestrandete Asylsuchende alternative Fluchtrouten. Doch der Balkan mit seinen tief verschneiten uznd bergigen Gebieten ist ein schwieriges, ihnen unbekanntes Terrain. Auf eigene Faust ist da kein Durchkommen. Nur organisierte Schlepperbanden können kleine Gruppen von Migranten über die jeweiligen „grünen Grenzen“ von Land zu Land lotsen - wenn sie denn ihre „Kunden“ nicht übers Ohr hauen und sie nach der Bezahlung von Tausenden Euro einfach hängen lassen.

Manche Flüchtlinge waren am vergangenen Montag dabei, als bis zu 2000 Menschen einen reißenden Fluss durchquerten, um den mazedonischen Grenzzaun zu umgehen. Auf mazedonischem Gebiet wurden sie aber von den Sicherheitskräften des kleinen Balkanlandes aufgehalten und brutal zurückgeschoben, zum Teil misshandelt. Diese Erfahrungen und das lange Warten ohne Aussicht auf Weiterkommen bewirken, dass die Nerven mitunter blank liegen. Bei den Essensverteilungen der internationalen Helfer kommt es gelegentlich zu Streit und Rempeleien, wenn sich jemand vordrängeln möchte.

In der Nacht sind Massenschlägereien nicht selten. Oft geraten junge Männer aus Syrien und Afghanistan aneinander. Die Syrer beschuldigen die Afghanen - fälschlicherweise -, dass sie schuld daran seien, dass die Grenze nun für alle geschlossen ist. „Es ist nicht überraschend, dass sich die Frustrationen nach all dem auch auf diese Weise entladen“, meint der Mitarbeiter einer internationalen Hilfsorganisation.

In Idomeni stirbt die Hoffnung langsam. Mehrere Busse verlassen am Tag das Camp. Sie bringen diejenigen, die es hier nicht mehr aushalten können in Wind und Regen, nach Athen. Es sind private Busse, und die Passagiere müssen für die Fahrt 25 Euro pro Person bezahlen. Aber es kommen immer noch neue Flüchtlinge nach, die nach der gefährlichen Überfahrt über die Ägäis von Athen aus nach Norden aufbrechen. Für sie ist Idomeni, das Camp an der geschlossenen Grenze, immer noch ein Hoffnungspunkt.