Nach „Sandy“: Stimmabgabe per E-Mail, Fax oder Shuttle
New York (dpa) - Umgeknickte Bäume, überschwemmte Häuser, zerfledderte Holzstege im Wasser: Wirbelsturm „Sandy“ hat Locust Point ganz im Osten des New Yorker Stadtteils Bronx hart erwischt.
Seine Eltern, Tanten, Onkel, viele Freunde und natürlich er selbst - alle seien betroffen, erzählt Andy Teatrano, während er den Bus durch die Straßen von Locust Point steuert. Aber keine Frage: „Wählen gehen wir natürlich alle trotzdem.“ Das eigentliche Wahllokal hat allerdings zu. „Da hinten steht es, aber es ist völlig überschwemmt.“
Die Stadt hat improvisiert und ein weißes Zelt auf einem Parkplatz ganz in der Nähe aufgestellt. „Wählen Sie hier“, steht auf einem Schild davor. Drinnen ist behelfsmäßig Teppich verlegt worden, Wahlhelfer sitzen an einem Tisch, zwei Wahlkabinen sind aufgestellt. Ein Stromgenerator und eine tragbare Heizung verbreiten ein lautes Brummen. „Um die 80 Menschen waren heute schon hier“, sagt einer der Wahlhelfer. „Nicht alle wegen "Sandy", manche fanden hier den Ort auch einfach praktisch. Der Ablauf war reibungslos. Ich hatte das Gefühl, dass es vielen wichtig war, trotz "Sandy" wählen zu gehen.“ Warteschlangen gibt es keine.
„Ich bin sehr dankbar, dass die Stadt das Zelt aufgestellt und es so uns allen ermöglicht hat, problemlos wählen zu gehen“, sagt Busfahrer Teatrano. „Ich kann das aber erst nach meiner Schicht machen.“ Exakt eine Woche war es am Wahltag her, dass das gesamte Ausmaß der Verwüstungen durch „Sandy“ erstmals sichtbar wurde: Millionen Menschen ohne Wasser und Strom, hunderttausende Häuser überflutet oder zerstört, Dutzende Tote.
Exakt eine Woche später strahlte am Dienstag die Sonne über der Ostküste, als wäre nie etwas gewesen. Und doch haben weiter hunderttausende Menschen keinen Strom, kein Wasser und kein Licht. „Wenn man kein Dach über dem Kopf und kein Essen hat, ist Wählen eher nicht besonders weit oben auf der Liste, mit den Sachen, die man erledigen will“, sagte Jumaane Williams, demokratischer Lokalpolitiker aus dem New Yorker Stadtteil Brooklyn.
„Sandy“ hat die US-Wahl in Teilen der US-Ostküste völlig durcheinandergebracht. Wahllokale besonders in den Bundesstaaten New York und New Jersey sind zerstört oder haben keinen Strom, öffentliche Verkehrsmittel - und damit der Transport zu den Wahllokalen - fahren vielerorts nur eingeschränkt, viele Katastrophenhelfer sind zu 12-Stunden-Schichten eingeteilt und wissen nicht, wann sie wählen gehen sollen.
Trotzdem bildeten sich am Dienstagmorgen vor vielen Wahllokalen bereits lange Schlangen. „Es ist unser Recht, zu wählen“, sagte die von „Sandy“ aus ihrem Haus vertriebene Justine Fricchione der „New York Times“. „Also findet man heraus, wie man hinkommt, und dann macht man es einfach.“
Rund 100 Wahllokale mussten allein im Bundesstaat New York verlegt werden. In letzter Minute hatte New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo am Montagabend (Ortszeit) einen Erlass unterschrieben, der die Bindung an ein bestimmtes Wahllokal aussetzt: New Yorker durften am Dienstag nun wählen, wo sie wollten - oder wo sie hinkamen.
Spezielle Shuttle-Busse wurden eingesetzt, die die Menschen aus besonders hart getroffenen Gegenden zu Wahllokalen bringen sollten. „Nur weil man aus seinem Haus vertrieben worden ist, bedeutet das nicht, dass man auch entrechtet ist“, sagte Cuomo. Wer in einem anderen Wahllokal als dem ihm eigentlich zugeteilten seine Stimme abgibt, kann allerdings an manchen lokalen Entscheidungen nicht teilnehmen.
In New Jersey gilt die Sonderregelung ebenfalls. Gouverneur Chris Christie erlaubte zudem das Wählen per Fax und E-Mail. Alle möglichen Maßnahmen, die den betroffenen Menschen das Wählen erleichtern sollten, seien getroffen worden, sagte New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg. „Die einzige Frage ist: Werden sie es auch tun?“ Die Wahlbeteiligung werde wahrscheinlich deutlich geringer ausfallen als vor vier Jahren, sagte der Politikwissenschaftler Ben Dworkin. „Nicht jeder wird es ins Wahllokal schaffen.“ Am Ausgang der Wahl in New York und New Jersey sollte das nichts ändern: Beide Bundesstaaten gelten als sichere Bastionen der Demokraten.