Nato beendet Libyen-Einsatz, Stunde Null für Nationalrat
Tripolis/Kairo/Brüssel (dpa) - Bereits einen Tag nach dem Tod des libyschen Ex-Diktators Muammar al-Gaddafi hat die Nato das Ende ihres sieben Monate langen Militäreinsatzes in Libyen zum 31. Oktober beschlossen.
Diese Entscheidung sei vorläufig, endgültig solle Anfang der kommenden Woche entschieden werden, sagte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen am Freitagabend in Brüssel nach einer Sondersitzung des Nato-Rates.
Für den libyschen Nationalrat beginnt an diesem Samstag eine neue Zeitrechnung - er will das Land für befreit erklären. Allerdings wird der tote Gaddafi die neuen Machthaber weiter beschäftigen. Die Vereinten Nationen haben eine Untersuchung verlangt, wie der 69-Jährige ums Leben gekommen ist. Der Tod des Ex-Machthabers hat auch die Demokratiebewegungen in Syrien und im Jemen beflügelt.
Die Nato bestätigte auch, dass Flugzeuge am Donnerstag jenen Konvoi bombardiert hatten, mit dem Gaddafi aus der Stadt Sirte zu fliehen versuchte. Die Nato habe jedoch nicht gewusst, dass sich Gaddafi in einem der Fahrzeuge befand. Etwa elf von insgesamt etwa 75 militärischen Fahrzeugen seien zerstört worden, weil sie mit Waffen und Munition beladen gewesen seien.
Der russische Außenminister Sergej Lawrow kritisierte den Einsatz als Verstoß gegen die UN-Resolution. „Die Attacke stand in keinem Verhältnis zum erlassenen Flugverbot“, sagte Lawrow am Freitag nach Angaben der Agentur Interfax in Moskau. „Die Umstände des Todes (von Gaddafi) werfen viele Fragen auf“, sagte Russlands Außenminister.
Der 69 Jahre alte Ex-Machthaber war am Donnerstag in seiner Heimatstadt Sirte unter noch nicht geklärten Umständen getötet worden. Auch Gaddafis Sohn Mutassim starb während der letzten Kämpfe. Zunächst hatte das Fernsehen des Nationalrates auch berichtet, dass Gaddafis zweitältester Sohn Saif al-Islam ums Leben gekommen war. Kämpfer des Übergangsrates haben am Freitag dann überraschend Saif al-Islam angeblich 160 Kilometer östlich von Tripolis gefangen genommen, berichtete der arabische Nachrichtensender Al-Arabija. Dafür gibt es bislang keine unabhängige Bestätigung.
Um die genauen Todesumstände Gaddafis rankten sich am Freitag unterschiedliche Darstellungen. Offizielle Stellen in Tripolis behaupten, der verletzte Gaddafi sei auf der Fahrt nach Misrata im Krankenwagen ins Kreuzfeuer neuer Kämpfe geraten und dabei tödlich verletzt worden. Nach Einschätzung eines Arztes starb der Ex-Diktator am Donnerstag durch „Schüsse aus nächster Nähe in Kopf und Bauch“. Dies könnte auf eine absichtliche Erschießung hindeuten, berichtete der arabische Fernsehsender Al-Arabija.
In Misrata bildete sich am Freitag lange Schlangen von Menschen, die den Leichnam in einem Kühlhaus sehen wollten. Nach muslimischer Tradition werden Tote normalerweise binnen 24 Stunden beigesetzt. Der Nationalrat war sich aber am Freitagabend noch nicht einig, wann und wo der Tote beigesetzt werden soll. Auf jeden Fall soll der Ort geheimbleiben, damit Gaddafi-Anhänger keinen Wallfahrtsort bekommen.
Wegen der rätselhaften Umstände des Todes forderten sowohl Gaddafis Ehefrau Safija als auch die Vereinten Nationen Aufklärung. „Wir wissen nicht, wie er gestorben ist. Dazu muss es eine Untersuchung geben“, sagte der Sprecher des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, Rupert Colville, am Freitag in Genf. „Es scheint vier verschiedene Versionen zu geben, wie er gestorben ist. Es gibt mindestens zwei mit Mobiltelefonen aufgenommene Videos. Das eine zeigt ihn lebendig, das andere zeigt ihn tot. Zusammen sind diese Videos sehr beunruhigend.“
Für den Nationalrat beginnt am Samstag eine neue Zeitrechnung. Zuerst will er Libyen offiziell für befreit erklären. Nach der feierlichen Zeremonie solle dann binnen 30 Tagen eine provisorische Regierung gebildet werden, berichtete der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira.
Diese Übergangsregierung wird dann eine verfassungsgebende Versammlung einberufen und freie, demokratische Wahlen vorbereiten. Der Nationalrat wird außerdem seinen Sitz von Bengasi, wo vor acht Monaten der Volksaufstand gegen Gaddafi begann, in die Hauptstadt Tripolis verlegen.
Während die frühere Opposition mit dem Sturz Gaddafis ein gemeinsames Ziel hatte, herrschen jetzt zwischen liberalen und streng religiösen Gruppen unterschiedliche Vorstellungen, wie das neue Libyen aussehen wird. Der angestrebte demokratische Neuaufbau wird auch durch Stammesrivalitäten gefährdet. Unklar bleibt auch, ob sich die Milizen wirklich entwaffnen und dann in die regulären staatlichen Sicherheitskräfte einbinden lassen.
In Syrien und im Jemen sind am Freitag tausende Menschen nach dem traditionellen Mittagsgebet auf die Straße gegangen, um das Ende ihrer jeweiligen Gewalt-Regime zu fordern. In beiden arabischen Ländern inspirierte der Tod des früheren Diktators Gaddafi die Demonstranten. „Baschar, du bist der nächste!“, stand - in Anspielung auf den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad - auf Transparenten, die von Augenzeugen in der syrischen Stadt Homs gesehen wurden.