Nato kann russischen Truppenabzug nicht bestätigen
Brüssel/Moskau (dpa) - Die Nato kann einen russischen Truppenabzug aus dem Grenzgebiet zur Ukraine nicht bestätigen. Dem Bündnis lägen derzeit keine Informationen darüber vor, sagte ein Nato-Diplomat der Nachrichtenagentur dpa.
Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu hatte zuvor erklärt, die an der Grenze zum Nachbarland an Manövern beteiligten Soldaten seien in ihre Standorte zurückgekehrt.
Die im unruhigen Osten der Ukraine festgesetzten Militärbeobachter befinden sich unterdessen noch immer in der Gewalt prorussischer Aktivisten. Die EU veröffentlichte am Dienstag die neuen Namen auf ihrer Sanktionsliste. Russland kritisierte das EU-Vorgehen als „abstoßend“.
„Wir haben die Erklärung des russischen Verteidigungsministers gesehen“, sagte der Nato-Diplomat der dpa. Doch derzeit gebe es keine Informationen, „die auf einen Abzug russischer Truppen von der ukrainischen Grenze hindeuten“. Die Nato fordere Russland „weiterhin auf, gemäß der Vereinbarung von Genf zugunsten von Diplomatie und Dialog alle Truppen entlang der ukrainischen Grenze abzuziehen“.
Schoigu hatte am Montagabend während eines Telefonats mit seinem US-Kollegen Chuck Hagel gesagt, die Truppen seien abgezogen worden. Grund dafür sei die Beteuerung aus Kiew, die ukrainische Armee „nicht gegen unbewaffnete Zivilisten“ im Osten des Landes einzusetzen. Die Nato hatte am 10. April Satellitenbilder aus dem Grenzgebiet veröffentlicht und von 35 000 bis 40 000 dort stationierten russischen Soldaten gesprochen.
Der Westen wirft Russland vor, sich einer Umsetzung der Genfer Vereinbarungen zu verweigern und die Krise in der Ukraine anzufachen. Die Europäische Union und die USA hatten daher am Montag eine Ausweitung der bislang verhängten Strafmaßnahmen beschlossen.
Die 15 neuen Einreiseverbote und Kontensperrungen der EU richten sich gegen russische Spitzenpolitiker sowie maßgebliche Vertreter der prorussischen Aufständischen in der Ostukraine. Auf der am Dienstag im Amtsblatt der EU veröffentlichten Namensliste stehen unter anderen Russlands Vize-Ministerpräsident Dmitri Kosak und Generalstabschef Waleri Gerassimow. Wirtschaftsführer sind nicht aufgeführt. Die USA hatten ihre Sanktionsliste unter anderen um den Chef des staatlichen Ölkonzerns Rosneft, Igor Setschin, ergänzt.
„Anstatt die Kiewer Bande mit dem Südosten der Ukraine an den Verhandlungstisch zur Zukunft des Landes zu zwingen, gehen unsere Partner im Schlepptau Washingtons mit neuen nicht freundschaftlichen Gesten an die Adresse Russlands vor“, teilte das Moskauer Außenministerium in einer Reaktion mit. Wenn die EU hoffe, auf diese Weise die Lage in der Ukraine zu stabilisieren, dann zeige sie damit eigentlich nur eine völlige Unkenntnis der innenpolitischen Lage in der Ex-Sowjetrepublik.
Nach den neuen Sanktionen gab es keine Bewegung im Fall der in der Ostukraine festgehaltenen Militärbeobachter, unter denen auch vier Deutsche sind. „Wir kehren erst zu einem Dialog über den Status der Kriegsgefangenen zurück, wenn die EU diese Zwangsmaßnahmen zurücknimmt“, sagte der selbsternannte Bürgermeister der Stadt Slawjansk, Wjatscheslaw Ponomarjow, der Agentur Interfax.
Die Bundesregierung trat Spekulationen über einen Einsatz des Bundeswehr-Kommandos Spezialkräfte (KSK) zur Befreiung der Beobachter entgegen. „Das KSK ist nicht in Alarmbereitschaft. Es ist weder alarmiert noch in irgendeiner Weise mit der Lage in der Ukraine beauftragt worden“, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Berlin. Er widersprach damit einem Bericht der „Bild“-Zeitung.
Der bei einem Attentat schwer verletzte Bürgermeister der ostukrainischen Stadt Charkow, Gennadi Kernes, wurde derweil zur Behandlung nach Israel ausgeflogen. Der 54-Jährige befinde sich im künstlichen Koma, teilte ein Kliniksprecher mit. Ein Scharfschütze hatte ihm in den Rücken geschossen. Das Motiv ist unklar.
Die Turbulenzen in der Ex-Sowjetrepublik beginnen, auch die Verbraucher in Deutschland zu verunsichern. „Die Annexion der Krim durch Russland sowie die Eskalation in der Ostukraine lassen einen Teil der Konsumenten befürchten, dass die spürbare konjunkturelle Erholung beeinträchtigt werden könnte“, teilte das Marktforschungsunternehmen GfK in Nürnberg mit.