Analyse: Sorge um Militärbeobachter wächst
Geilenkirchen/Berlin (dpa) - Eigentlich sollte Ursula von der Leyen gerade in Pristina sein. Eigentlich.
Denn jetzt steht die Verteidigungsministerin nicht auf einem Rollfeld in der Hauptstadt des Kosovo, sondern in Geilenkirchen in Nordrhein-Westfalen - im Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr (ZVBw), von dem bisher nur die Fachleute wussten, dass es existiert. Die Entwicklungen im Osten der Ukraine haben die Pläne der CDU-Frau durchkreuzt. Und sie ist in der Bundesregierung längst nicht die einzige, die ihre Pläne umwerfen muss.
Die Gefangennahme von mehreren westlichen Militärbeobachtern in der Stadt Slawjansk hat die Sorgen in Berlin noch einmal um einiges größer werden lassen. Nicht nur, weil sich seit Freitag auch vier Deutsche aus Geilenkirchen in den Händen prorussischer Separatisten befinden, die als unberechenbar gelten. Auch sonst weiß niemand so recht, wohin dieser „Irrsinn“ (Außenminister Frank-Walter Steinmeier) in der Ukraine noch führen wird.
Alle Appelle, das Team um den deutschen Oberst Axel Schneider sofort freizulassen, blieben bis Montagnachmittag ohne Erfolg. Die prorussischen Kämpfer um den selbst ernannten Bürgermeister Wjatscheslaw Ponomarjow machten keinerlei Anstalten, die Ausländer schnell wieder gehen zu lassen. Der Krisenstab im Auswärtigen Amt hatte zu ihnen immer noch keinerlei direkten Kontakt. Die Hoffnung, dass Russland seinen Einfluss positiv geltend machen könnte, trog.
Deshalb verschärfte die Bundesregierung abermals den Ton. Inzwischen ist in Berlin klar von einer „Geiselnahme“ die Rede. In Brüssel stimmte Deutschland mit den anderen 27 EU-Staaten für weitere Einreiseverbote und Kontensperrungen gegen Russen und pro-russische Ukrainer. Steinmeier flog zu Beratungen mit dem künftigen Nato-Chef, Norwegens Ex-Ministerpräsident Jens Stoltenberg, nach Oslo. Und von der Leyen nach Geilenkirchen.
Hier kümmern sich etwa 200 Soldaten um militärische Kontrollen und Inspektionen. Sie reisen ins Ausland, schauen sich unter dem Dach der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) Militäranlagen und militärische Aktivitäten anderer Staaten an und begleiten im Gegenzug ausländische Kräfte, die sich in Deutschland umsehen. Von hier aus waren die vier Deutschen - drei Soldaten und ein Übersetzer - vor einer Woche in die Ukraine aufgebrochen, um sich auf Einladung der Übergangsregierung umzuschauen, gemeinsam mit Beobachtern anderer Staaten.
Doch ihre Mission endete abrupt. Erst jetzt werden die Details bekannt: Unter Schneiders Kommando waren die Militärinspektoren am Freitag etwa 50 Kilometer südlich von Slawjansk mit einem Bus und einem Begleitfahrzeug unterwegs. Plötzlich versperrten zwei Fahrzeuge den Weg. Acht prorussische Separatisten mit Kalaschnikows stiegen aus, umstellten das Team und nahmen die Beobachter mit nach Slawjansk. Ob die Bundeswehr-Leute in zivil oder in Uniform unterwegs waren, weiß man noch nicht.
Ihre Handys mussten die Ausländer sofort abgeben - was in Deutschland anfangs noch die Hoffnung nährte, dass das Team nur in ein Funkloch geraten sei. Am Wochenende jedoch wurden sie vor den Kameras vorgeführt. Schneider musste sogar behaupten, sie seien Ponomarjows „Gäste“. Die Kollegen in Geilenkirchen, die den Oberst und seine Leute kennen, sagen dazu:„Die waren extrem angespannt. Wir sind sehr besorgt.“ Von der Leyen forderte zum Ende ihres Besuchs eine Freilassung „ohne Wenn und Aber“.
In Berlin geht es unterdessen schon wieder um andere Fragen. Hier hat eine Diskussion eingesetzt, was die Bundeswehr-Leute überhaupt im Osten der Ukraine zu suchen hatten. Der Verteidigungsexperte der Links-Fraktion, Alexander Neu, sagt: „Wenn man eine Eskalation vermeiden will, ist es politisch nicht klug, mit einem solchen Team dahin zu gehen. Dadurch wird die gesamte Mission der OSZE in ein schlechtes Licht gestellt.“ Dadurch bekämen auch Spionagevorwürfe Nahrung.
Die Bundesregierung will von solchen Mutmaßungen überhaupt nichts wissen. Der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer, bezeichnete sie als „total abwegig“. „Das geschieht mit völlig offenem Visier. Das hat mit Spionage überhaupt nichts zu tun. Das ist das genaue Gegenteil.“ Außerdem hält man solche Fragen im Augenblick noch für zweitrangig. Viel wichtiger sei jetzt, dass die Militärinspektoren bald freikommen.