Obama-Effekt verpufft: Aktien und Euro unter Druck
Frankfurt/New York (dpa) - Die freundliche Stimmung an den Finanzmärkten nach der Wiederwahl von US-Präsident Barack Obama ist schnell wieder verpufft. Die enormen Schuldenprobleme in den USA, aber auch in Europa rückten wieder in den Vordergrund.
„Schneller als gedacht hat die Wirklichkeit uns wieder eingeholt“, sagte ein Börsianer. „Zwar hat der klare Wahlausgang für Sicherheit gesorgt, doch nun richtet sich der Fokus schon wieder auf die weiteren, altbekannten Unsicherheitsfaktoren.“
Nach anfänglichen Gewinnen kippte die Stimmung an den europäischen Börsen. Auch die Wall Street stand unter Druck. Der Euro fiel auf den tiefsten Stand seit zwei Monaten.
Demokraten und Republikaner in den USA müssten schnellstmöglich eine Einigung zur Begrenzung der seit Jahren ausufernden Staatsschulden finden, damit die US-Wirtschaft Anfang des nächsten Jahres nicht in die Rezession stürze, warnen Ökonomen.
In Europa bereitet zudem die Schuldenkrise zunehmend Sorgen. Neben Spanien bekommt auch Frankreich sein Defizit nicht in den Griff. Die Wachstumsprognosen für den Euroraum wurden gesenkt. Am Abend stand im pleitebedrohten Griechenland zudem die Abstimmung über ein neues Sparpaket an. „Zweifelsohne würde eine Ablehnung wohl den finanziellen Zusammenbruch Griechenlands besiegeln“, sagte Commerzbank-Experte Lutz Karpowitz.
Der deutsche Aktienindex Dax ging ab dem frühen Nachmittag auf Tauchstation und drehte deutlich ins Minus. Später weiteten sich die Verluste auf fast 2 Prozent aus. Der europäische Index EuroStoxx gab deutlich nach. An den Börsenplätzen in London und Paris ging es nach anfänglichen Gewinnen abwärts. Auch die New Yorker Wall Street startete mit Verlusten in den Handel. Der US-Leitindex Dow Jones Industrial fiel zwischenzeitlich erstmals seit Anfang September unter die Marke von 13 000 Punkten. Der Euro fiel auf 1,2735 US-Dollar und damit auf den tiefsten Stand seit zwei Monaten.
Der erstarkte Dollar machte sich auch an den Rohstoffmärkten bemerkbar: Nach einer überwiegend festen Tendenz gerieten die Ölpreise unter Druck und gaben um mehr als einen Dollar nach. Auch Gold und Silber konnten ihre deutlichen Gewinne nach dem Wahlsieg Obamas nicht halten, lagen aber noch im Plus.
Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), fachte die Nervosität der Anleger weiter an, indem er bei einer Rede in Frankfurt von den negativen Folgen der Krise für die deutsche Wirtschaft sprach. Die jüngsten Konjunkturdaten aus der größten Euro-Volkswirtschaft geben ihm recht: Die Gesamtproduktion ging im September um 1,8 Prozent zurück und lag damit deutlich unter den Erwartungen. Als Belastungsfaktoren sahen Experten auch die gesenkten Wachstumsprognosen der EU-Kommission. Diese rechnet für den Euroraum erst wieder im Jahr 2014 mit einer nennenswerten Beschleunigung des Wachstums.
Nach der Wiederwahl steht US-Präsident Obama nach Einschätzung von Ökonomen vor schwierigen wirtschaftspolitischen Entscheidungen. Vor allem mit Blick auf den Staatshaushalt seien die Herausforderung groß. Obama kann zwar weiter regieren, er muss aber nach wie vor mit unterschiedlichen Mehrheiten im Kongress auskommen. Die Entscheidungsfindung dürfte wie bereits in den vergangenen beiden Jahren sehr kompliziert bleiben.
„Das überragende Ziel zur Lösung der wirtschaftlichen Probleme muss daher die Überwindung der politischen Spaltung sein“, schreibt Harm Bandholz, USA-Experte bei der UniCredit, in einem Kommentar. Das akuteste Problem dürfte die drohende „Fiskalklippe“ sein. Falls sich die beiden großen Parteien nicht einigen können, werden zum Jahresbeginn 2013 automatisch die US-Staatsausgaben gekürzt und die Steuern erhöht, was zu einer Rezession Anfang 2013 führen könnte.
Der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Dennis Snower, sieht aber gute Chancen, dass Obama die Schuldenprobleme der USA in den Griff bekommt und die US-Wirtschaft neue Jobs schafft. „Voraussetzung hierfür ist, dass Obama der Bevölkerung reinen Wein über die tatsächliche Verschuldung samt maroder Kredite einschenkt, einen langfristigen Fiskalplan vorlegt und diesen auch politisch durchsetzt“, sagte der amerikanische Wissenschaftler in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Wie Bill Clinton in seiner sehr erfolgreichen zweiten Amtsperiode als US-Präsident müsse jetzt auch Obama beide Parteien in die Amtsführung miteinbeziehen - „sonst wird er weitere Hoffnungen enttäuschen“, so Snower.
Die Sanierung des Staatshaushalts ist auch nach Ansicht der deutschen Industrie die wichtigste Aufgabe Obamas. „Vorrangig ist es, den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen und auf mittlere und lange Sicht so zu konsolidieren, dass Verwerfungen auf dem amerikanischen und den internationalen Märkten vermieden werden“, erklärte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Peter Keitel.