Porträt: El Baradei - stiller Freund friedlicher Lösungen
Kairo (dpa) - Ein geborener Volkstribun ist er bestimmt nicht. Als sich Mohammed el Baradei am Sonntag auf dem Tahrir-Platz in Kairo unter die Menge mischte, war er zunächst gar nicht zu hören.
Als ihm schließlich jemand ein Megaphon in die Hand drückte, reichte seine Stimme nicht weit. Wer ihn hören konnte, nahm die Durchhalteparolen für die Protestierenden wohlwollend auf. Elektrisiert hat sein Auftritt aber nicht.
Dennoch ist der 68-jährige Diplomat und ehemalige Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) augenblicklich der Hoffnungsträger der ägyptischen Protestbewegung gegen das Regime von Präsident Husni Mubarak. Seine politische Erfahrung, seine ebenso beharrliche und gewinnende Art beim Vermitteln und Verhandeln und seine kompromisslose demokratische Grundhaltung befähigen ihn tatsächlich zu einer tragenden Rolle im Kairoer Nachfolgepoker - sofern es zu dieser Partie überhaupt kommt.
Der studierte Jurist trat 1964 in den diplomatischen Dienst seines Landes ein. Es folgten Stationen in den UN-Missionen in Genf und in New York, wo er in internationalem Recht promovierte. 1984 kam er zur IAEA in Wien. Er leitete die außenpolitische Abteilung und wurde schließlich Stellvertreter des damaligen Generaldirektors Hans Blix. 1997 trat er dessen Nachfolge an. Die Geschicke der Behörde lenkte er bis Ende 2009.
Dabei gelang es ihm, dem weltweiten Atomenergie-Kontrollregime seinen ganz eigenen Stempel aufzudrücken. Ob bei den Nuklearambitionen des Irans oder Nordkoreas - nie wurde er müde, eine friedliche Lösung anzumahnen und Verhandlungen einzufordern. 2003 attestierte er dem Irak, kurz vor dem amerikanischen Angriff und gegen enormen amerikanischen Druck, dass Bagdad keine Atomwaffen besaß. Damit sollte er Recht behalten, auch wenn Washington wegen angeblicher irakischer Massenvernichtungswaffen Krieg führte. Anschließend erhielt die IAEA unter El Baradei den Friedensnobelpreis.
Nach seinem Abgang von der Atomenergie-Behörde schien es zunächst, als würde er ein beschauliches Rentnerdasein in Wien führen. Doch im Februar des Vorjahres kehrte er im Triumph in seine Heimat zurück. Tausende vor allem junge Landsleute empfingen ihn enthusiastisch am Flughafen von Kairo. In der Folge setzte er sich dafür ein, die zersplitterte ägyptische Opposition um das lose Bündnis Nationale Vereinigung für den Wechsel (NAC) zu scharen. Auch mit der islamistischen Muslimbruderschaft, der größten und bestorganisierten, zugleich auch verbotenen Oppositionsbewegung trat er in einen Dialog.
Zugleich bot sich El Baradai als möglicher Kandidat für die in diesem Jahr geplante Präsidentschaftswahl an, falls das Regime die restriktiven Regeln ändert. Derzeit haben nämlich unabhängige Kandidaten keine Chance, zur Präsidentschaftswahl überhaupt zugelassen zu werden. Bei der Parlamentswahl Ende vergangenen Jahres rief er zum Boykott auf. Auch hier ließ das Regime von vornherein keine neuen politischen Parteien zu und fälschte die Ergebnisse.
El Baradais politisches Credo ist einfach: Ägypten braucht eine echte Demokratie anstelle des autoritären und manipulativen Mubarak-Systems sowie einen geordneten und friedlichen Übergang dahin. Er will die heterogene Opposition einigen und sie auf die ihnen - bei allen sonstigen Unterschieden - gemeinsame Forderung nach Demokratie einschwören. „Wir können uns nicht den Luxus leisten, dass Linke gegen Rechte, Sozialisten gegen Muslimbrüder, Kopten gegen Muslime kämpfen“, sagte er zur Jahreswende in einem Interview mit der Tageszeitung „Al-Masri Al-Youm“.
Kritiker aus den eigenen Reihen werfen El Baradei vor, sich davor zu scheuen, klar und eindeutig die Führungsrolle in der Opposition zu übernehmen. Stattdessen habe er sich auch nach seiner formalen Rückkehr im Vorjahr mehr im Ausland als in Ägypten aufgehalten. Gelegentliche Twitter-Botschaften aus der Ferne, um seine Anhänger bei der Stange zu halten, würden nicht ausreichen. Er selbst pflegt darauf zu antworten, dass dieser Schelte ein falsches Verständnis von politischer Führerschaft unter demokratischen Verhältnissen zugrunde liege. Für eine solche falsch verstandene Führerrolle sei er nicht zu haben. Wie er in dem selben Interview sagte: „Wenn ihr auf den Reiter auf dem weißen Schimmel wartet, dann ist die schlechte Nachricht: Er wird nicht kommen.“