Porträt: Michel Temer - Der Aufstieg des „Dekorationsvizes“
Brasilia (dpa) - Bisher war Michel Temer als Vizepräsident der Mann in Dilma Rousseffs Schatten. Sie benutzt neuerdings ein anderes V-Wort, wenn es um ihn geht: „Verräter“.
Wie zerrüttet das Verhältnis schon länger ist, zeigte ein Brief im Dezember, als er kritisierte, er sei nur ein „Dekorationsvize“. „Es gibt ein absolutes Misstrauen Ihrerseits und Ihrer Umgebung in Bezug auf mich und die PMDB“, so der 75-Jährige. Die Partei der demokratischen Bewegung (PMDB) ließ die Koalition platzen, er blieb Vize, um Rousseff stürzen zu können.
„Im Vergleich zu Temer ist Judas ein Anfänger“, meint der „Guardian“. Seine bildhübsche junge Frau Marcela (32) freut sich schon auf die Rolle als First Lady des fünftgrößten Landes der Welt. Kopfzerbrechen bereitet dem brasilianischen Protokoll die große Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele am 5. August in Rio de Janeiro. 80 bis 100 Staats- und Regierungschefs werden erwartet, kaum jemand kennt Temer näher. Aber er kann schlecht alle zu bilateralen Meetings in Rio treffen.
Über WhatsApp geriet schon eine Probe-Ansprache Temers im Falle der Absetzung Rousseffs in Umlauf. Angeblich ein „Unfall“. Ein Hoffnungsträger ist er nicht, sein geplantes Kabinett ist ebenfalls nicht frei von Personen, die unter Korruptionsverdacht stehen - und wenn er die Sozialprogramme kürzen soll, droht eine Protestwelle.
Er will sich als Reformer profilieren, Finanzmärkte und Wirtschaft setzen auf ihn. Einer Umfrage zufolge sind aber 58 Prozent der Bürger auch für seine Amtsenthebung - er ist Teil der bisherigen Regierung und für die Probleme mitverantwortlich, seine Zustimmungswerte bewegen sich auf Rousseffs Niveau. Daher hat er kein Interesse an Neuwahlen. Die PMDB ist genauso involviert in den Korruptionsskandal bei Auftragsvergaben des halbstaatlichen Petrobras-Konzerns.
Aber Temer ist in Brasília allerbestens vernetzt, ein Strippenzieher, schon zwei Mal Präsident des Abgeordnetenhauses. Er entstammt einer katholischen Familie aus dem Libanon, die 1925 nach Brasilien emigrierte. Er studierte in São Paulo Jura. Wegen der Machtstellung im fünftgrößten Land der Welt bezeichnete ihn das Magazin „Executive“ süffisant als „den mächtigsten lebenden Libanesen der Welt“.