Potzblitz und Hirschdrüse: Nordkoreas Doping-Fall
Frankfurt/Main (dpa) - Erst ein Blitzschlag und dann das Extrakt vom Moschushirschen: Der Dopingskandal um das nordkoreanische WM-Team hat sich am Wochenende ausgeweitet und immer skurrilere Züge angenommen.
Insgesamt fünf Spielerinnen aus dem abgeschotteten totalitären Staat hatten in ihrem Urin verbotene anabole Steroide. Doch Jiri Dvorak, Medizinischer Direktor beim Weltverband FIFA, hält die Geschichte nach „außerordentlich aufwendigen Untersuchungen“ für gar nicht so unglaubwürdig. „Tatsache ist, dass wir in der FIFA konfrontiert sind mit einem ganz groben bösen Dopingfall. Das schmerzt“, sagte FIFA-Präsident Joseph Blatter am Samstag in Frankfurt/Main und sprach von einem „Schock“.
Die Disziplinarkommission entscheidet nun darüber, ob der Nordkoreanische Verband gar aus der FIFA ausgeschlossen wird. Abgesehen von Sperren für die Spielerinnen wäre eine mögliche weitere Sanktion, dass die Frauen-Nationalmannschaft nicht zur Qualifikationsrunde für die WM 2015 in Kanada antreten darf.
Die gesamte Mannschaft Nordkoreas hatte nach dem 0:0 in der Vorrunde gegen Kolumbien am 6. Juli bei einer „zielgerichteten Fahndung“ zur Dopingkontrolle antreten müssen. Ein einmaliger Vorgang in der FIFA-Geschichte. Zuvor war schon im Urin von Song Jong Sun und Jong Pok Sim eine verbotene Substanz gefunden worden.
Nachdem nun drei weitere Spielerinnen erwischt wurden, sprach Dvorak von einem „klaren Fall von verbotenen Substanzen“. Die Namen nannte die FIFA nicht, sie müsse erst den nordkoreanischen Verband informieren. Das Verfahren sei nicht abgeschlossen. Die Ergebnisse der Untersuchungen, an denen zahlreiche Experten beteiligt waren, waren erst in der Nacht zum Samstag eingetroffen.
Die Geschichte dahinter klingt abenteuerlich: Am 8. Juni wurden nach Angaben der nordkoreanischen Teamführung im Trainingslager in den heimischen Bergen neun Spielerinnen vom Blitz getroffen. Es gibt laut Dvorak Bilder, wie die Fußballerinnen nach dem Unglück behandelt werden. In der Folgezeit habe der WM-Teilnehmer die Betroffenen mit einer traditionellen chinesischen Medizin behandelt. „Es ist ein Drüsenextrakt von einem Hirsch, der in der Region von Sibirien, Nepal, Mongolei bis Korea lebt“, erklärte der tschechische Mediziner den verwunderten Journalisten. „Er heißt auf Deutsch Moschushirsch.“
Nach dem ersten positiven Test stellten die Nordkoreaner der FIFA eine Probe des „Wundermittels“ zur Verfügung. Die Analytiker in Köln und Dresden fanden sowohl in den Urinproben der überführten Fußballerinnen als auch in den Drüsenextrakten 14 verschiedene Steroide, davon stehen vier auf der Verbotsliste. Mittlerweile sind auch die B-Proben untersucht - mit dem gleichen Resultat.
Auf die Frage, warum nicht alle neun angeblich vom Blitz getroffenen Spielerinnen positiv getestet wurden, sagte Dvorak: „Für das dritte Spiel hatte das Team keinen Vorrat mehr für alle.“ Es werde schwierig herauszufinden, „wo die Verantwortlichkeiten liegen: Bei den Trainern, bei den Ärzten oder bei den Spielerinnen.“ Nachdem das nordkoreanische Team nach dem Vorrunden-Aus abgereist war, hält die FIFA mittlerweile den Kontakt nach Pjöngjang unter anderem über zwei Botschaftsräte aus Berlin. Dvorak betonte, dass sich die Nordkoreaner von Anfang an „sehr kooperativ gezeigt hätten“.
Bei der Aufklärung geholfen hätte, dass die Nordkoreanerinnen bereits am 25. Juni bei einer unangemeldeten Trainingskontrolle getestet und Steroidprofile von ihnen erstellt worden waren. Ob er Hinweise habe, dass in Nordkorea systematisch gedopt wird? Dvorak sagte nur: „Es ist ein sehr berühmtes Heilmittel in China, Korea und in vielen asiatischen Ländern. Aber nicht in der Welt des Dopings. Das ist meines Wissens der erste Fall.“
Ziemlich profan ist dagegen der Fall der kolumbianischen Torhüterin Yineth Varon, die bei einer Trainingskontrolle erwischt worden war. „Ein Hausarzt hat ihr dreimal eine Spritze mit Anabolika verpasst“, sagte Dvorak.
Dass die FIFA einen Tag vor dem Endspiel mit der Nachricht von drei weiteren positiv getesteten Fußballerinnen an die Öffentlichkeit geht und die unangenehmen Test-Ergebnisse nicht erst nach der WM bekanntgibt, überraschte. Schließlich überschattet der Doping-Skandal jetzt noch mehr als zuvor das ansonsten erfolgreiche Turnier. Blatter wollte die Nachricht aber nicht zu hoch gehängt haben. Der Präsident verwies darauf, dass im Fußball weltweit jährlich 35 000 Kontrollen durchgeführt werden und nur 0,03 Prozent der Tests positiv seien. „Das eigentliche Doping existiert im Fußball nur auf einem kleinen Niveau.“