Protest in Ägypten: Mindestens 19 Tote und 1000 Verletzte
Kairo (dpa) - Die Proteste gegen das Regime des ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak sind weiter eskaliert. Bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei sind am Freitag in Ägypten mindestens 19 Menschen ums Leben gekommen.
Weit über 1000 weitere wurden nach Medienberichten verletzt. Unterdessen kündigte Parlamentspräsident Fathi Surur nach Berichten des Nachrichtensenders Al-Arabija für die kommenden Stunden „eine wichtige Erklärung“ an. Weitere Einzelheiten dazu wurden zunächst nicht bekannt.
Wie Al-Arabija am späten Abend unter Berufung auf Krankenhausärzte berichtete, kamen allein in der Stadt Suez 13 Menschen bei Straßenschlachten mit Sicherheitskräften ums Leben. 75 weitere seien in der Stadt am Kanal verletzt worden. Aus Kairo wurden fünf Tote gemeldet. Allein in der Hauptstadt habe es 1030 Verletzte gegeben, meldete der Sender weiter.
Im ganzen Land gingen trotz Demonstrationsverbots mehr als 100 000 unzufriedene Menschen auf die Straßen. Die Regierung verhängte eine nächtliche Ausgangssperre über weite Landesteile, die aber vielerots unbeachtet blieb. Auch in Tunesien gab es bei Protesten gegen die Regierung wieder Verletzte. Demonstrationen wurden erneut auch aus Jordanien gemeldet.
In der ägyptischen Hauptstadt Kairo kam es am Abend trotz Ausgangssperre zu Plünderungen und Brandstiftungen. Auch Schüsse waren zu hören. Augenzeugen berichteten, Gruppen von Männern aus den Armenvierteln der Stadt hätten mehrere öffentliche Gebäude, Geschäfte und die Zentrale der Nationaldemokratischen Partei (NDP) in Brand gesetzt. Ein junger Demonstrant sagte dem TV-Sender Al-Arabija, er habe gesehen, wie Geschäfte geplündert wurden. Kein Polizist und kein Soldat habe eingegriffen.
Die Parteizentrale der NDP am Nilufer stand am Abend in Flammen. Auch das Außenministerium wurde angegriffen. Über der Stadt kreisten Armee-Helikopter. Die staatliche Fluggesellschaft Egypt Air stellte den Flugbetrieb über Nacht ein.
Die Ausgangssperre sollte nach Angaben des staatlichen Fernsehens im Großraum Kairo und den Provinzen Suez und Alexandria bis 07.00 Uhr am Samstagmorgen gelten. Zunächst war berichtet worden, dass sie über das gesamte Land verhängt worden sei. In mehreren Städten gingen am Abend Armee-Einheiten in Stellung. Auch Panzer fuhren auf.
Von Präsident Husni Mubarak, der das Land seit 1981 regiert, war unterdessen nichts zu sehen. Eine zunächst angekündigte Fernsehansprache fand nicht statt.
Wie Sicherheitskreise in Kairo bestätigten, wurde Friedensnobelpreisträger Mohammed el Baradei am Freitag unter Hausarrest gestellt. Der frühere Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA war erst am Vortag nach Ägypten zurückgekehrt. Er gilt vielen als Hoffnungsträger und als möglicher Nachfolger des 82-jährigen Mubarak, der seit 30 Jahren an der Macht ist. Der Chef der liberalen Wafd-Partei, Sajjid al-Badawi, forderte am Abend die Bildung einer Übergangsregierung und eine Änderung der Verfassung.
Bereits am Nachmittag war die Polizei mit Tränengas, Wasserwerfern und Gummigeschossen gegen Demonstranten vorgegangen. Schon vor Beginn der Kundgebungen hatte die Regierung das Internet und die meisten Mobiltelefon-Verbindungen gekappt.
Augenzeugen berichteten der Nachrichtenagentur dpa von mindestens einem getöteten Demonstranten im Ost-Kairoer Stadtbezirk Ain Shams. Nach Meldungen des arabischen Senders Al-Dschasira wurden zwei weitere Demonstranten in Kairo sowie in Suez getötet. Die Zahl der Verletzten gaben Ärzte dem Bericht zufolge mit 870 an. In Kairo war bereits von den heftigsten Protesten seit den Hungerrevolten im Jahr 1977 die Rede.
Dass die zunächst friedlichen Demonstrationen am Nachmittag immer gewalttätiger wurden, war nach Korrespondentenberichten nicht nur der Polizei, sondern auch einigen vor allem jungen Männern zuzuschreiben, die Proteste für Randale genutzt hätten. Ihre Zahl habe im Verlauf des Abends zugenommen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte ein Ende der Gewalt und mahnte Meinungs- und Informationsfreiheit an. „Ich rufe alle Beteiligten, vor allem auch die ägyptische Regierung und den Präsidenten auf, dass sie friedliche Demonstrationen genehmigen, dass die Meinungsfreiheit eine Chance hat“, sagte Merkel am Rande des Weltwirtschaftsgipfels in Davos.
Auch die Vereinten Nationen mahnten die Einhaltung der Bürgerrechte an - insbesondere das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie die Informations- und Versammlungsfreiheit. „Eines der Grundprinzipien der Demokratie ist der Schutz und die Gewährleistung der Meinungsfreiheit der Bürger“, sagte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in Davos. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, forderte auch die Wiederherstellung der Internet- und Mobilfunkverbindungen.
Die USA wollen angesichts Lage in Ägypten ihre Hilfen für das arabische Land überprüfen. Die Ereignisse „könnten einen Einfluss auf unsere Unterstützung haben“, sagte Regierungssprecher Robert Gibbs. Präsident Barack Obama ließ sich von seinen Sicherheitsexperten über die Lage informieren. US-Außenministerin Hillary Clinton rief die Regierung in Kairo auf, auf die Bevölkerung zuzugehen. „Wir glauben, dass die ägyptische Regierung sofort mit dem ägyptischen Volk über die Verwirklichung ökonomischer, politischer und sozialer Reformen sprechen muss“, sagte sie.
Angesichts der blutigen Proteste hat das Auswärtige Amt in Berlin seine Reisehinweise für Ägypten verschärft. Von nicht unbedingt notwendigen Reisen nach Kairo, Alexandria und Suez sollte derzeit Abstand genommen werden, hieß es am Freitagabend auf der Internetseite des Außenamtes.
Auch in Tunesien gingen die Proteste gegen die alte Garde in der Übergangsregierung trotz einer Kabinettsumbildung am Freitag weiter. In der Hauptstadt Tunis ging die Polizei am Abend mit Tränengas gegen eine Sitzblockade mehrerer hundert Demonstranten vor dem Regierungsgebäude vor und löste sie auf. Dabei wurden nach Augenzeugenberichten mindestens fünf Menschen verletzt.
Auch in Jordanien demonstrierten am Freitag wieder tausende Menschen für politische Reformen. Sie forderten die Entlassung der Regierung von Premierminister Samir Rifai. Es war schon die dritte Freitagsdemonstration in Jordanien in Folge.