Analyse Reden ist Gold: Totalversagen der UN im Syrien-Konflikt
New York (dpa) - Für das Verhalten der UN im Syrien-Konflikt fand der sonst sehr diplomatische Generalsekretär Ban Ki Moon klare Worte: „Unser kollektives Versagen, grauenhafte Gewalttaten in Syrien (...) zu verhindern, wird mit Blick auf das Ansehen der Vereinten Nationen und ihrer Mitgliedstaaten eine schwere Last bleiben.“
Es war ein eindringlicher Appell des Diplomaten. Aber er war nicht ganz neu: Bans Zitat stammt aus seiner Rede vor der Vollversammlung im September 2013. Mehr als drei Jahre später hat sich an den Formulierungen des Südkoreaners kaum etwas geändert.
Rund zwei Wochen verbleiben Ban noch im Amt, bevor er seinen Posten an der UN-Spitze an António Guterres übergibt. Punkt eins auf der To-do-Liste des Portugiesen: der Bürgerkrieg in Syrien. Trotz zahlloser Sitzungen im Sicherheitsrat, trotz erschütternder Briefings mit Vertretern von Hilfsorganisationen, trotz schockierender Bilder und Berichte von der Lage am Boden haben die UN den Verlauf des Konflikts in sechs Jahren nur bedingt beeinflussen können. Ban blieb nicht viel mehr übrig, als das Totalversagen öffentlich zu beklagen.
Dabei hat der 15 Mitglieder zählende Sicherheitsrat mit seinen politisch bindenden Resolutionen ein mächtiges Werkzeug in der Hand. Auf diesem Weg forderte er das Regime in Damaskus 2013 einstimmig - also inklusive der Ja-Stimmen Russlands und Chinas - zum Vernichten seiner Chemiewaffen auf. 2014 ermöglichte eine Resolution die Lieferung von Nahrung und Medikamenten an Millionen Opfer der Kämpfe. Ende 2015 wurde die Vermittlung von Friedensgesprächen der syrischen Regierung mit der Opposition via Resolution eingeleitet.
Das Problem ist nur: Da Russland an der Seite des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad kämpft und die USA die Rebellen unterstützen, hängt eine Lösung des Konflikts im höchsten UN-Gremium immer auch am Dialog zwischen Moskau und Washington. Selbst nach versuchten Absprachen der Militärs scheinen sich diese beiden Akteure im Konflikt nur in einem Punkt einig zu sein: Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) darf den Krieg nicht gewinnen. Im Sicherheitsrat besteht das maximal Machbare deshalb weiterhin darin: Handeln ist Silber, Reden ist Gold.
So ist der Saal am New Yorker East River nach sechs Jahren Krieg zum Debattierklub geworden, in dem die amerikanische UN-Botschafterin Samantha Power und ihr russischer Kollege Witali Tschurkin die Leitlinien ihrer Regierungen oft nur als Echo nachhallen lassen. Selbst in die Dringlichkeitssitzungen, die diesen Namen mangels konkreter Ergebnisse kaum noch verdienen, hat sich eine gespenstische Normalität eingeschlichen. Treffen um Treffen zerbröckelt die Glaubwürdigkeit der UN weiter. Die jüngste Resolution zu einer Feuerpause in Aleppo blockierte Tschurkin erst vor gut einer Woche.
Mit seinen fünf Veto-Mächten USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien bildet der Sicherheitsrat bis heute die Weltordnung nach Ende des Zweiten Weltkriegs ab. Um in globalen Konflikten handlungsfähig zu bleiben, scheint die seit Jahren diskutierte Reform des Gremiums unumgänglich. Würde der Rat um mehr ständige Mitglieder erweitert - im Gespräch sind vor allem Deutschland, Brasilien, Indien und Japan -, könnte der Druck auf Russland und die USA steigen und ein Patt wie im Syrien-Konflikt möglicherweise gelockert oder ganz gelöst werden.
„Die Geschichte wird uns nicht leicht freisprechen“, sagt Ban in seinen letzten Tagen als Generalsekretär. „Wir alle haben die Menschen in Syrien bislang kollektiv hängenlassen.“ Zumindest die 193 Länder zählende UN-Vollversammlung will diese Schuld nicht mittragen: Mit immerhin 122 Ja-Stimmen verabschiedete sie am Freitag eine eigene Resolution zu einer Feuerpause in Syrien und einem Ende willkürlicher Angriffe auf Zivilisten. „Dies ist eine Abstimmung, um aufzustehen und von Russland und Assad ein Ende des Blutvergießens zu verlangen“, sagte UN-Botschafterin Power. Was sie nicht sagte: Die Resolution hat politisch keine bindende Wirkung.