Regierung und Opposition kritisieren britisches Spähprogramm
London/Berlin (dpa) - Deutschland verlangt nach Berichten über großangelegte Internet-Abhörprogramme des britischen Geheimdienstes umfassende Aufklärung von London.
„Treffen die Vorwürfe zu, wäre das eine Katastrophe“, sagte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Der frühere US-Geheimdienst-Mitarbeiter Edward Snowden hatte dem britischen „Guardian“ Dokumente vorgelegt, wonach Großbritanniens Geheimdienst ein noch umfangreicheres Abhörprogramm im Internet als die USA betreiben soll.
Der Abhördienst GCHQ (Government Communications Headquarters) könne täglich bis zu 600 Millionen Telefonverbindungen erfassen. GCHQ sei „schlimmer als die US(-Kollegen)“, wird Snowden zitiert, der am Sonntag seinen Zufluchtsort Hongkong an Bord einer russischen Passagiermaschine verließ. Neben E-Mails, Einträgen im sozialen Netzwerk Facebook oder auch Telefongesprächen werden laut „Guardian“ für das britische Spionageprogramm „Tempora“ auch persönliche Informationen der Nutzer 30 Tage lang gespeichert.
Nach dem Bekanntwerden des US-Datenspionageskandals vor zwei Wochen hatte die britische Regierung Vorwürfe zurückgewiesen, Informationen des US-Geheimdienstes NSA genutzt zu haben. Alles laufe im Rahmen der bestehenden Gesetze zur Terrorabwehr ab, hieß es offiziell.
Der britische Außenminister William Hague hatte zudem kürzlich im Parlament betont, Daten dürften nur mit der Zustimmung von höchsten Stellen eingesehen werden. Der Vorsitzende des britischen Sicherheitsausschusses, Malcolm Rifkind, kündigte am Wochenende im Sender BBC an, die Anschuldigungen zu untersuchen. Eine schriftliche Stellungnahme von GCHQ werde erwartet.
In Deutschland erklärte Unionsfraktionschef Volker Kauder, Großbritannien müsse seine europäischen Partner „umfassend und schnell“ aufklären. „Wenn das berichtete Ausmaß der Datenüberwachung so stimmt, wäre dies nicht akzeptabel“, sagte Kauder der „Welt am Sonntag“.
Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger bezeichnete die Vorwürfe zudem als „Alptraum à la Hollywood“. „Wenn das Programm wirklich so existieren sollte, muss auf europäischer Ebene Druck gemacht werden, dass das in dieser Form - ohne Anlass, flächendeckend - nicht mehr zum Einsatz kommt“, sagte die Ministerin am Sonntag am Rande einer FDP-Veranstaltung in München.
Sie appellierte zudem an die deutschen Sicherheitsbehörden, deutsche Gesetze zu beachten. Sie müssten sicherstellen, dass sie „nicht an Überwachungsprogrammen beteiligt sind“, sagte die stellvertretende FDP-Vorsitzende der „Welt am Sonntag“.
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sagte der „Welt am Sonntag“, der Kampf gegen den internationalen Terrorismus rechtfertige keine „systematische und flächendeckende Überwachung unser aller Kommunikation durch Geheimdienste, egal ob amerikanische oder britische“. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Michael Hartmann, sagte der Zeitung „Die Welt“: „Das massenhafte Ausspähen von Deutschen ist durch nichts gerechtfertigt.“
Laut „Guardian“ gab es bereits 2008 beim britischen Geheimdienst Mitarbeiter, denen das mutmaßliche Überwachungsprogramm Sorgen bereitete. „Wir hatten das Gefühl, wir gingen etwas zu weit“, zitierte die Zeitung einen nicht namentlich genannten Geheimdienst-Mitarbeiter. „Wir hatten alle Bedenken, weil wir dachten: Wenn das gegen uns verwendet wird, haben wir keine Chance.“