Report: Orkantief schüttelt den Norden durch
Husum (dpa) - Selbst hartgesottene Nordlichter sind beeindruckt: Sturmtief „Xaver“ tobt mächtig an Nord- und Ostsee. Halligen stehen schnell unter Wasser. Das öffentliche Leben ist stark beeinträchtigt.
Schiffe bleiben im Hafen, Flugzeuge am Boden, Züge und Busse in den Depots.
Tosender Sturm, peitschende Wellen, Regen, Gewitter, Hagel, umstürzende Bäume - Land unter auf den Halligen. Mit Urgewalt hat Orkantief „Xaver“ über Schleswig-Holstein gewütet. Schon die Satellitenbilder konnten Angst und Schrecken einjagen; dann schlug „Xaver“ tatsächlich zu. Mittags erreichten die ersten Orkanböen Helgoland und die nordfriesischen Inseln, bevor sie auch das Festland durchpusteten. Um 15.00 Uhr tobte „Xaver“ mit Tempo 126. Viel höher in Aussicht gestellte Horrorgeschwindigkeiten wurden bis dato nicht erreicht.
„Kaum einer auf den Halligen wird heute Nacht eine Auge zumachen“, sagte auf Langeneß Postschiffer Fiede Nissen voraus. Angespannt, aber immer noch relativ norddeutsch-gelassen rüsteten sich viele Schleswig-Holsteiner für die verbleibende Orkanzeit.
Ungewöhnlich schnell liefen die Halligen schon am Nachmittag voll. Wasserstände von bis zu zweieinhalb Metern über dem normalen Hochwasser stellten sich ein - bei dieser Marke beginnt eine schwere Sturmflut. „Ein richtig hohes Land unter“ vermeldete von Hooge „Seehund“-Inhaber Jörg Dell Missier. Das Wasser sei über die halbe Warfthöhe hinaus gestiegen. „Sehr viel Wasser, sehr viel Wind - nun müssen wir abwarten, was in der Nacht passiert.“
Dafür wurden der Nordseeküste zunächst bis zu dreieinhalb Meter über Normal vorhergesagt - ab dann gilt eine Sturmflut als sehr schwer. Später war noch von drei Metern die Rede. „Auf solche Situationen haben wir uns seit vielen Jahren vorbereitet. Unsere Deiche sind winterfest und für solche Wasserstände ausgelegt“, versicherte Küstenschutzminister Robert Habeck (Grüne). „Respekt vor der Kraft der Naturgewalt sollte man haben, aber wir sind gut gewappnet.“
Zwar stand das Wasser am Nachmittag in Husum um gut drei Meter höher als bei normalem Hochwasser und damit weit über dem für diesen Zeitpunkt erwarteten Maß, aber die erste schwere Sturmflut von drei angekündigten richtete offenkundig noch keine größeren Schäden an. Doch die Stunde der Wahrheit sollte ja erst in der Nacht schlagen.
Beruhigende Worte hielt der Hamburger und Altkanzler Helmut Schmidt indes für die Norddeutschen parat. Er hielt die Gefahr von Überschwemmungen und Zerstörungen durch das Sturmtief „Xaver“ für geringer als bei der Hamburger Sturmflut 1962, bei der er als Hamburger Innensenator die Hilfsmaßnahmen koordiniert hatte. „Wenn es beim Ausmaß von 1962 bleibt, ist das nicht sehr schlimm“, sagte er der „Bild“-Zeitung (Freitag). „Die Flutmauern und Deiche sind seit damals erheblich verstärkt und erhöht worden.“ Wenn die Vorhersagen stimmten, „können die Menschen beruhigt sein. Dann wird es nicht entfernt so schlimm wie damals“.
Auf der Mini-Hallig Süderoog bei Pellworm sah sich Nele Wree (31) mit ihrem Partner Holger Spreer (33) in der tosenden Nordsee „mittendrin statt nur dabei“. Sicherheitshalber richteten beide ihr Nachtlager in dem für extreme Wetterlagen bestimmten Schutzraum ein. „Der steht auf neun Säulen, die acht Meter in den Boden ragen“, schilderte die Nationalpark-Rangerin. „Dort haben wir auch einen kleinen Ofen und unser Nachtlager fertiggemacht.“ Wree und Spreer leben als einzige auf Süderoog.
Seit dem späten Vormittag waren Inseln und Halligen vom Festland aus nicht mehr zu erreichen, weil keine Fähren mehr fuhren. Der Fernverkehr der Bahn sowie in Dithmarschen und Nordfriesland der Busverkehr wurden eingestellt, in einem Großteil des Landes fiel der Schulunterricht aus, der Hamburger Flughafen strich zahlreiche Flüge. In Schleswig-Holstein machten die Hochschulen mittags dicht, Verwaltungen, Kirche und Verbände sagten reihenweise Veranstaltungen ab. Kitas, Kreisverwaltungen und Rathäuser schlossen, Wochenmärkte fielen aus. Wer konnte, fuhr mittags von der Arbeit nach Hause. Innenstädte und Dörfer wirkten wie leer gefegt.
Bis zur letzten Minute wurden Häuser und Baugerüste gegen die Sturmfluten gesichert, Sandsäcke geschleppt, windanfällige Teile hereingeholt. Dann hieß es abwarten: „Wir haben uns zu Hause eingeigelt“, erzählt der Helgoländer Lutz Hardersen. „Hier weht es fürchterlich.“ Hardersen betreibt ein Restaurant auf der vorgelagerten Düne, die aus Sicherheitsgründen evakuiert wurde. Helgolands Bürgermeister Jörg Singer war am Nachmittag noch relativ gelassen. „Wir sind gut vorbereitet und bisher nicht so betroffen wie bei "Christian".“
In der berühmten „Sansibar“ auf Sylt fanden sich nur besonders mutige Gäste ein. „Der Wind knallt hier kräftig durch“, erzählte der Angestellte Jan Schaller. „Da steht man als kleines Menschlein da und kann nur hoffen, dass einen die Naturgewalten verschonen.“
In Wyk auf Föhr schaute Barbara Radtke beeindruckt aus dem Fenster des Hotels „Strandhotel“: „Es sieht schon ganz gewaltig aus“, schilderte die Frau am Empfang. „Das peitscht mächtig auf.“ Auch in Büsum warteten die Menschen mit Bangen und Hoffen auf die Nacht. „Wir haben so weit wie möglich alles festgemacht“, sagte der Vorsitzende des Segelvereins, Günter Fennemann. „Mehr können wir nicht tun.“ Auf Norderney peitschten Regen und Hagel durch die Luft, und am Strand sorgte schon am Mittag Flugsand für tränende Augen. Wer nicht draußen sein musste, verkroch sich im Haus.