Reportage: Überraschungs-Coup - Mollath ist frei
Nürnberg/Bayreuth (dpa) - Gustl Mollath trägt eine Topfpflanze, als er kurz vor 18.00 Uhr das Bezirkskrankenhaus Bayreuth verlässt. Er kommt nicht durch die Schranke an der Zufahrtsstraße, sondern durch den Park.
Mehr als sieben Jahre hat er um seine Entlassung aus der Psychiatrie gekämpft. An diesem Dienstag nun ist es soweit, er kommt frei. Das Oberlandesgericht Nürnberg hat seine Entlassung am Vormittag angeordnet.
Der 56-Jährige wirkt jedoch angespannt. „Das war stressig für mich“, sagt er mehrmals in die vielen Mikrofone, die sich ihm entgegenstrecken. Gegen Mittag sei ihm die Entscheidung überbracht worden. Dann habe er geduscht und rasch zusammengepackt. Er spricht von „einer großen Erleichterung“.
Einige Freunde aus seinem Unterstützerkreis sind an seiner Seite. Mollath trägt ein blaues Poloshirt und eine Jeans. Es ist drückend heiß in Bayreuth, gleich wird es ein Gewitter geben. Mollath wischt sich mehrmals den Schweiß von der Stirn. Worauf er sich jetzt freue, wird er gefragt. Ein heißes Bad? Einen Kinobesuch? Ein gutes Essen?
Mollath ist pragmatisch. Er habe ja seit seiner Einweisung in die Psychiatrie keine Papiere mehr. Das Wichtigste sei jetzt, einen neuen Ausweis zu beantragen. Wo er nun übernachten wird, will er nicht verraten. Die Autos seiner Freunde biegen später auf die Autobahnauffahrt Richtung Nürnberg ab. Wie er sich das Leben „da draußen“ vorstelle, soll Mollath noch sagen. „Ich stelle es mir schön vor“, sagt er lächelnd. Seine Unterstützer applaudieren.
Die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Nürnberg kam zu diesem Zeitpunkt nicht nur für Mollath überraschend. Sein Fall soll vor Gericht wieder aufgerollt werden. Sein Anwalt Gerhard Strate macht aus seinem Erstaunen über das Tempo keinen Hehl, mit dem die Nürnberger Richter seine Beschwerde gegen eine Entscheidung des Landgerichts Regensburg von Mitte Juni bearbeiteten. „Dem OLG liegt ja noch nicht einmal meine Begründung vor“, wundert er sich.
Mehr als die Eile erstaunte allerdings Juristen wie Politiker die Klarheit der OLG-Entscheidung, die auf einem einzigen von einem halben Dutzend Argumenten für ein Wiederaufnahmeverfahren fußt: einem zweifelhaften Attest, das Mollaths damaliger Frau Verletzungen bescheinigte, die angeblich von Misshandlungen herrührten - obwohl die zuständige Ärztin selbst die Frau gar nicht untersucht hatte.
Mehr noch: Statt sich in juristische, von Laien unverstandene Feinheiten zu versteigen, sprechen die Richter Klartext; sie stufen das Attest klipp und klar als „unechtes Dokument“ ein. Damit zeichnet sich ab, dass eine zentrale Säule von Mollaths Verurteilung von 2006 wegbrechen dürfte, wenn der Fall wieder aufgerollt wird.
Tempo und Stil erwecken den Eindruck, als ginge es dem OLG-Senat nicht nur um eine Entscheidung in der Sache, sondern auch um ein klares Signal in Sachen Rechtsstaatlichkeit. Denn die hatten zuletzt viele Bürger im Zusammenhang mit dem Fall Mollath infrage gestellt. Immer lauter wurden die Zweifel am Sinn von Mollaths Zwangsunterbringung.
Neben Mollath dürfte am Dienstag aber auch noch jemand anderem ein großer Stein vom Herzen gefallen sein: Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer. Denn wo immer der CSU-Chef in den vergangenen Monaten auch hinkam - immer wieder wurde er von Bürgern auf den Fall Mollath angesprochen. Die CSU wurde für Mollaths Schicksal mitverantwortlich gemacht - das konnte Seehofer im Landtags- und Bundestagswahljahr nicht passen.
Deshalb trieb er zunächst seine Justizministerin Beate Merk (CSU) an, den Fall neu aufrollen zu lassen. Und deshalb trieb er zuletzt - nach Monaten des Wartens - die zuständigen Gerichte an, doch bitte „zeitnah“ zu entscheiden.
Die Kritik aus der Justiz kam prompt. Doch weil das OLG sich nun binnen kürzester Zeit zu einer Entscheidung imstande sah, dürfte sich Seehofer bestätigt fühlen - zumal die Entscheidung rechtzeitig vor der Landtagswahl in fünf Wochen kommt. „Insgesamt war das jetzt im Ergebnis eine gute Vorgehensweise der Justiz - die stellt mich zufrieden“, sagt er nun fast gönnerhaft.
Vom Tisch ist die Causa Mollath für die CSU aber damit keineswegs. Zwar kann Seehofer argumentieren: Jetzt geht doch alles seinen rechtmäßigen Gang. Zwar kann Merk - was formal stimmt - sagen, dass sie die Wiederaufnahme des Verfahrens mit in Gang gesetzt hat. Nur: Das unglückliche Agieren der Ministerin über Monate hinweg wird damit nicht ungeschehen oder vergessen gemacht.
Merk habe die Brisanz des Falles viel zu lange nicht erkannt, räumen auch Koalitionspolitiker ein. Sie habe sich zu lange vorbehaltlos vor die Justiz gestellt.
Das Urteil der Opposition ist deshalb hart und eindeutig. SPD-Spitzenkandidat Christian Ude schimpft, dass sich ausgerechnet Merk jetzt als Freiheitskämpferin für Mollath präsentieren wolle, das sei wohl „die verwegenste Geschichtsklitterung der letzten Jahre“. Und Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger unkt, Mollath werde jetzt freigelassen, „um das Wahlergebnis der CSU nicht zu gefährden“.