Analyse Revolution vertagt: Seehofer verschafft sich erstmal Luft

München (dpa) - Manchmal gleicht die Wirklichkeit bei der CSU einem fein inszenierten Drama. An diesem Mittwoch spielt sich dieses vor und hinter den Türen des CSU-Fraktionssaals im bayerischen Landtag ab und dauert rund viereinhalb Stunden.

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Am Ende bleibt der Sturz des Königs zwar wie erwartet aus, ein freiwilliges Abdanken sowieso. Doch eine mögliche Revolution ist lediglich vertagt - bis Mitte November.

CSU-Chef Horst Seehofer, der nach dem CSU-Wahlfiasko vom Sonntag parteiintern massiv in der Kritik steht, schafft es also, die Fraktion hinter sich zu scharen und Rücktrittsforderungen einzudämmen - vorerst. „Es gibt jetzt so eine Art Stillhalteabkommen bis zum Parteitag“, sagt einer der 101 Abgeordneten. Und sogar Seehofers Möchtegern-Nachfolger Markus Söder hält still. Die „Zeitachsen“ seien gut, sagt der Franke und versichert: „Ich reich' immer die Hand.“

Doch die viereinhalb Stunden hinter verschlossenen Türen haben es in sich. Erst einmal Auftritt Seehofer. Der setzt das fort, was er draußen vor den Kameras schon begonnen hatte: eine Attacke auf seine Kritiker. Die gefährdeten den CSU-Erfolg in Berlin, machten die Partei lächerlich. Dann Auftritt der Unterstützer, darunter Innenminister Joachim Herrmann und der neue Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, die vor einer Personaldebatte warnen. Erst dann kommen nach und nach die „normalen“ Abgeordneten dran. So viele wollen etwas sagen, dass die viereinhalb Stunden nicht ausreichen.

Die Kritiker kommen relativ spät an die Reihe, darunter die beiden Abgeordneten Alexander König und Petra Guttenberger, die erneut einen personellen Neuanfang fordern. Kultusstaatssekretär Georg Eisenreich springt bei: Sonst schlittere die CSU in eine weitere Niederlage.

Ein kleiner Spannungs-Höhepunkt zwischendurch: Seehofer droht (jedenfalls wird das drinnen so wahrgenommen) Finanzstaatssekretär Albert Füracker mit Konsequenzen, weil der am Vortag von einem „geordneten Übergang“ 2018 gesprochen hatte. Erst als Eisenreich und andere protestieren, relativiert Seehofer seine Drohung etwas.

Am Ende aber sind sich alle einig: Seehofer hat nun erst einmal den klaren Auftrag, in Berlin möglichst viele CSU-Positionen durchzusetzen, insbesondere die Obergrenze für neue Flüchtlinge.

Nur: Die Durchsetzung der Obergrenze, auf die die CSU-Basis wartet, scheint schon gegenüber der CDU und der Kanzlerin nahezu unmöglich - und gegenüber möglichen Koalitionspartnern erst recht. Was dann?

Kritisch für Seehofer könnten Diskussionen mit der Basis werden, die er am Mittwoch ankündigt, vor allem aber der große CSU-Parteitag Mitte November. Sollte er nicht mit ausreichend Beute aus Berlin zurückkommen, sollte ihm der Zorn der Basis entgegenschlagen, könnte es für Seehofer eng werden. Und der Zorn ist derzeit gewaltig, wie Abgeordnete aus vielen Teilen des Landes übereinstimmend berichten, nicht nur die aus Söders fränkischer Heimat, sondern auch in München oder der Oberpfalz.

Der Druck auf Seehofer ist immens - und seine parteiinterne Position geschwächt. Mehrere Abgeordnete fordern in der Sitzung eine engere Einbindung Söders ein. Ist Seehofer nur noch Parteichef auf Abruf?

Wie die weiteren Diskussionen mit der Basis ablaufen und vor allem der Parteitag, das wisse keiner, berichten mehrere Abgeordnete und orakeln: „Der Parteitag ist aus heutiger Sicht unkalkulierbar.“

Und was macht Söder? Der wartet erst einmal ab. „Es liegt noch ein schwieriges Stück Wegstrecke vor uns“, sagt der Dauer-Rivale Seehofers bedeutungsschwer nach Ende der Fraktionssitzung. „Es bleibt ja noch der Berg der Probleme, der Herausforderungen.“ Jetzt müsse jeder „auf seinem Platz was erbringen“. „Am Ende gewinnt oder verliert die Mannschaft.“ Man müsse aber weiter in die CSU „hineinhorchen, „wie die Stimmung ist“.

Das dürfte auch Söder tun. Die Frage ist, ob der Protest der Basis, der aus vielen Teilen des Landes nach München schwappt, abebbt oder nicht. Werden die Rufe nach einer Ablösung Seehofers lauter? Sollte dies bis zum Parteitag passieren - Söder stünde sicher gerne bereit, heißt es. Mit einer Kampfkandidatur rechnet aber eigentlich keiner. „Söder wird kein Risiko eingehen“, sagt ein Abgeordneter. „Er will sich sicher nicht die Hände schmutzig machen.“