Ring frei! Indiana ebnet den Weg für Clinton gegen Trump
Indianapolis (dpa) - In Indiana beschäftigen sich die Menschen in dieser Zeit des Jahres normalerweise hauptsächlich mit zwei Dingen: dem Wetterbericht, der im Frühjahr häufig Tornados ankündigt, und dem weltberühmten Autorennen, den 500 Meilen von Indianapolis.
Doch 2016 ist alles anders: Der Bundesstaat im Mittleren Westen hat politische Geschichte geschrieben. Ted Cruz hat im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur der US-Republikaner nach einer vernichtenden Niederlage in Indiana aufgegeben - die „Grand Old Party“ wird, sollte nicht noch irgendeine nicht absehbare Sensation geschehen, mit dem Baulöwen Donald Trump an der Spitze in den Wahlkampf um die Nachfolge Barack Obamas ziehen und das Duell mit der Demokratin Hillary Clinton aufnehmen. Trump ist der erste Nicht-Politiker seit Dwight D. Eisenhower, der ins Weiße Haus will.
Der Vorwahlkampf in den USA ist praktisch beendet. Denn: Auch der letzte verbliebene Trump-Gegner bei den Republikanern, John Kasich, sollte am Mittwoch seinen Wahlkampf beenden. Weit, weit abgeschlagen lag er bei den Delegierten noch hinter Cruz und sogar Marco Rubio, der schon vor Wochen ausgestiegen ist. Das war es gewesen bei den Republikanern, Trump ist alleine auf weiter Flur. Kasich kam in Wirklichkeit über Ohio nie hinaus, dort ist er Gouverneur.
Bei den Demokraten hat Hillary Clinton mit Indiana zwar einen weiteren Staat an ihren hartnäckigen Widersacher Bernie Sanders verloren. Ob ihres riesigen Vorsprungs zweifelt jedoch kaum noch jemand ernsthaft an einer Kandidatur der Ex-Außenministerin.
Für Trumps Widersacher Ted Cruz war Indiana die Brandwand. Dort leben viele Bauern, gläubige Christen, Sozialkonservative - der Bundesstaat gehört zu den Regionen, wo einer wie Cruz auf fruchtbaren Boden trifft. „Hier müssen wir gewinnen“, rief er wiederholt.
Doch die Brandwand ist eingestürzt. Und mit ihr das ganze Kartenhaus, das Cruz in den vergangenen Monaten aufgebaut hat. Gemeinsam mit einer Anti-Trump-Koalition der Republikaner hatte Cruz Unmengen Geld nach Indiana gepumpt, den Staat, in dem sich Kandidaten sonst kaum blicken lassen. Mit Hilfe von Computertechnik feilte er an Modellen, wie er die Delegierten auf dem Parteitag in einem zweiten Wahlgang auf seine Seite ziehen könnte. Indiana hat all das pulverisiert.
Cruz wollte die Alternative sein, zu der das Partei-Establishment greift, um Trump, den Ungeliebten, zu verhindern. „Das war ein Fehler“, sagt Patrick Murray, einer der renommiertesten Meinungsforscher in den USA von der Monmouth University. Cruz sei zuletzt als Etablierter wahrgenommen worden, während die Sympathie für einen Nicht-Etablierten in den Umfragen im Laufe der Vorwahlen sprunghaft angestiegen sei.
Außerdem sprang der Funke nicht über, die grauen Eminenzen der Partei fanden keine Liebe für den Kandidaten Cruz. In einem wohl strategisch geplanten Verbalausfall beschimpfte der frühere Parlamentsvorsitzende John Boehner in der vergangenen Woche Cruz als Hurensohn, der den Teufel im Leib habe. Cruz hat sich als Senator bei den Republikanern in Washington den Ruf als Quertreiber erarbeitet, als jemand, dem keiner trauen kann. Der Hieb aus der Ecke, aus der eigentlich Hilfe kommen sollte - er saß.
Selbst Sprücheklopfer Donald Trump musste sich sehr mühen, um die verbale Breitseite aus Reihen des Establishments zu toppen. Am Wahltag schließlich gelang es ihm. Er zitierte einen Beitrag im Revolverblatt „National Enquirer“ der den Vater des Texaners in die Nähe des John-F.-Kennedy-Attentats rückte. „Das hat ihm letztlich das Kreuz gebrochen“, heißt es triumphierend aus dem Trump-Lager.
Nach Indiana mussten Cruz und Kasich - auch mit Blick auf die noch ausstehenden Staaten - einsehen: Es hat keinen Sinn mehr. Trumps absolute Mehrheit von 1237 Delegierten ist nicht mehr zu verhindern. In einem Luxushotel in Indianapolis nahm Cruz seine Frau Heidi, seinen Vater und seine beiden kleinen Töchter in den Arm, die Tränen flossen noch auf der Bühne. Wie der Ringrichter einen taumelnden Boxer wollte Cruz nach der erbitterten Schlammschlacht der vergangenen Tage wohl auch seine Familie vor weiterem Schaden schützen.
Nun also Trump. Der 69 Jahre alte Seiteneinsteiger, bisher nie in ein Amt gewählt, sieht sich an der Spitze nicht nur einer Partei, sondern einer „unglaublichen Bewegung“, wie er selbst in einer ungewöhnlich sanften Siegesrede sagte. Militär und Wirtschaft stärken, den Blick streng nach innen gerichtet, Amerika soll wieder groß werden. Viel mehr verrät Trump auch auf Nachfrage nicht von seinem Programm.
Seinen Anhängern reicht das, sie versteigen sich in geradezu irrwitzigen Folgerungen. „Er wird mehr Frieden für die Welt bringen“, sagt Julie Davies (58) aus Carmel bei Indianapolis. „Wenn wir stärker werden, wird auch der Rest der Welt stärker.“
„Republikanische Wähler lieben es, wenn ihre vorgefertigte Meinung bestätigt wird“, sagt die Politikwissenschaftlerin Amanda Friesen von der Universität Indianapolis. Ein Bildungsproblem treffe auf ein Einkommensproblem, sagte sie der dpa.
Im Ausland wird Trumps mutmaßliche Kandidatur als großes Risiko für die friedliche Balance in der Welt gesehen - auch angesichts teils kruder außenpolitischer Thesen unter dem Dachmotiv „America First“. „Ich kann nur hoffen, dass der Wahlkampf in den USA nicht an den Realitäten vorbeigeht“, sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier kürzlich mit wenig diplomatischer Zurückhaltung. CDU-Außenexperte Norbert Röttgen sprach von einem potenziellen Risiko.
Trumps Kampf gegen Clinton wird nach übereinstimmender Meinung der Demoskopen deutlich härter als der gegen ein Feld wenig überzeugender Mitbewerber bei den Republikanern. Seine Stärke war bisher auch eine personelle und programmatische Schwäche der konservativen Partei. Die meisten Schwarzen und viele Latinos wählen in den USA aber traditionell demokratisch, wahlberechtigte Frauen sind Trump gegenüber sehr zurückhaltend.
Nach einer Berechnung der „Washington Post“ braucht Clinton am 8. November nur jene 19 Staaten zu gewinnen, die die Demokraten in den zurückliegenden sechs Wahlen immer gewonnen haben - plus Florida. Dort führt sie in Umfragen mit 13 Punkten vor Trump. Der hat in diesem Wahlkampf allerdings schon mehrfach die Meinungsforscher eines Besseren belehrt.