Rodeln: gut - Schlitten: ausverkauft

Erfurt (dpa) - Selbst der kleinste Hügel in Berliner Parks und im flachen Münsterland wird zum Rodelhang. Im Erfurter Stadtpark ziehen Väter die Kleinen mit dem Schlitten zur Kita. In ganz Deutschland heißt es „Rodeln: gut“.

Doch ein Schlitten unter dem Weihnachtsbaum? Dieser Traum wird für viele Kinder unerfüllt bleiben. „Die Leute weinen fast, wenn sie hier anrufen“, sagt Michael Ress vom traditionsreichen bayerischen Rodel-Hersteller Ress-Kutschen. „Aber die Mitleidstränen helfen nicht, wir können einfach nicht mehr liefern.“ Schlitten sind in Deutschland so gut wie ausverkauft.

„Die Händler sind bemüht, für Nachschub zu sorgen“, sagt Kai Falk vom Handelsverband HDE. Die Hersteller fertigten rund um die Uhr und könnten die riesige Nachfrage dennoch nicht befriedigen. Auf seiner Internetseite schreibt Ress: „Bitte rufen Sie uns nicht an, um doch noch einmal nachzufragen, es sind wirklich keine Schlitten mehr da!“ Leere Regale überall. Selbst beim Internet-Händler Amazon oder dem „Schlittenshop“ steht leuchtend rot: „nicht verfügbar“. In der Not rutschen Kinder auf Mülltüten die Hügel hinab und Studenten nehmen einfach das Schlauchboot.

„Die Kapazitäten sind voll ausgefahren“, sagt auch Martin Kummer, Geschäftsführer beim Thüringer Schlittenhersteller KHW. Der Marktführer bei den Kunststoffschlitten hat seine Stammbelegschaft um 40 Zeitarbeiter aufgestockt, sie arbeiten in Schichten. „Wir produzieren in diesem Jahr über 400 000 Schlitten“, erklärt Kummer. Damit fahre er die höchste Leistung seit Jahren. Der Firma geht es so gut, dass die Mitarbeiter Weihnachtsgeld bekommen haben.

Noch beliebter als die Kunststoff-Rutscher ist aber der traditionelle Davoser Holzschlitten. „Etwa drei Stunden komme ich noch zum Schlafen gerade“, sagt Hersteller Ress völlig erschöpft. Das Telefon hebt er meist gar nicht mehr ab. Mit sechs Mitarbeitern und 20 Aushilfen hämmert er täglich über 100 Schlitten zusammen. Ress leitet das mehr als 300 Jahre alte Unternehmen in der achten Generation. „Vor zwei Jahren habe ich noch überlegt, das Geschäft aufzugeben“, sagt er. „Da war ja kein Winter.“ 2009 produzierte er im gesamten Jahr 3600 Rodel, in diesem sind es bereits mehr als 30 000. „Da liegen die Nerven blank. Wir sind wirklich am Limit.“

Am Limit fertigen die Hersteller auch, weil viele Kollegen das Geschäft in den vergangenen Jahren an den Nagel gehängt haben. Schlittenbauer Friedrich Glogger berichtet, vor 30 Jahren habe er noch fast 20 Konkurrenten gehabt. „Jetzt gibt es noch drei namhafte Hersteller: Ress, Sirch und Gloco.“ Im sächsischen Erzgebirge musste mit der Fritz Pilz GmbH einer der größten Schlittenbauer Insolvenz anmelden. Nach zwei milden Wintern war er pleite. Der wichtigste Kunde hatte ihn im Stich gelassen. „Das Winterwetter war unser bester Auftraggeber“, sagte Geschäftsführer Eberhard Pilz damals.

Jetzt hat Deutschland plötzlich wieder einen Winter. Und Schlittenbauer Glogger sieht sich als „Phönix aus der Asche“ steigen. Die Gloco-Rodel landen regelmäßig auf vorderen Testplätzen. Dennoch war die Mitarbeiterzahl im letzten Jahr von ehemals 50 auf null gesunken. Kein einziger Schlitten wurde produziert. „Die Verkaufszahlen waren so schlimm wie nach dem Krieg“, sagt Glogger. Als dann plötzlich wieder Schnee fiel, war er allein und könnte nur das Lager leerverkaufen. Jetzt muss Glogger seine Produktion mit acht Mitarbeitern um 500 Prozent steigern. „Wir können die Händler nicht bedienen.“ Meist werde zudem noch viel zu kurzfristig geordert.

Wäre es nach den Bestellungen gegangen, hätte der Allgäuer Hörnerrodel-Bauer Sirch zuletzt 500 bis 1000 Schlitten am Tag mehr liefern können. Auch Rodelweltcup-Sieger Marcus Grausam ist mit seinem Ein-Mann-Betrieb „German Luge“ am Tegernsee „total im Stress“. Die Schlittenbauer könnten zufrieden sein. „Aber wenn es im nächsten Jahr nicht schneit, steht bei uns wieder alles“, fürchtet Ress. Glogger nennt ein weiteres Problem: „Psychologisch ist es extrem schwierig, wenn du Kindern sagen musst, dass sie ihr Weihnachtsgeschenk nicht bekommen.“