Nach dem Nein der Bürger Rückenwind für Kolumbiens Frieden
Oslo/Bogotá (dpa) - Die Nachricht vom Friedensnobelpreis reißt ihn aus dem Schlaf. In Kolumbien ist es mitten in der Nacht, als die Osloer Jury Präsident Juan Manuel Santos zum Nobelpreisträger macht.
Sein Sohn Martín überbringt dem Staatschef die frohe Botschaft.
Seine ganze Kraft hat der Politiker zuletzt dem Ziel gewidmet, sein Land nach mehr als einem halben Jahrhundert des Bürgerkriegs zum Frieden zu führen. Gemeinsam mit dem Chef der linken Farc-Guerilla unterzeichnet er im September ein historisches Friedensabkommen.
Doch das Nein der Bürger zu dem Vertrag bei einer Volksabstimmung verpasst dem Friedensprozess einen gewaltigen Dämpfer. Der Nobelpreis soll Ansporn sein, die Hoffnung auf Frieden in Kolumbien nicht aufzugeben, erwartet die Jury. Doch die Vergabe an Santos ist gewagt.
Nach dem geplatzten Vertrag zwischen Regierung und Rebellen steht der Frieden in dem südamerikanischen Land auf wackligen Beinen. „Wir sind sehr nah dran“, meint Santos nach der Nobelpreiszuerkennung. Doch die Ablehnung des Abkommens hat das Misstrauen vieler Kolumbianer offenbart: Es war keine Entscheidung für weiteren Krieg, sondern gegen einen Vertrag, der vielen Bürgern zu soft ist. Auch die geplante politische Betätigung von Ex-Guerilleros stößt vielen bitter auf - den Rebellen werden anfangs bis zu zehn Kongresssitze garantiert.
Der Weg zum Frieden ist noch lang. Und mit voreiligen Preisen hat sich das norwegische Nobelkomitee in früheren Jahren keinen Gefallen getan. Nach dem Preis für US-Präsident Barack Obama kurz nach dessen Amtsantritt 2009 hagelte es Kritik - im Rückblick betrachtet zurecht. Auch die großen Erwartungen nach der Vergabe an den israelischen Ministerpräsidenten Izchak Rabin, seinen Außenminister Schimon Peres und den Chef der palästinensischen PLO, Jassir Arafat, im Jahr 1994 blieben unerfüllt: Zwei Jahrzehnte später bekämpfen sich Israelis und Palästinenser im Nahen Osten immer noch.
Den Preis an den kolumbianischen Präsidenten hält Friedensforscher Dan Smith trotzdem für richtig. „Das Komitee ehrt die Arbeit, die schon gemacht wurde, und ist Ansporn für die, die noch nötig ist“, sagt der Chef des Stockholmer Forschungsinstituts Sipri. „Es ist wichtig, die zu ermutigen, die für Frieden kämpfen.“ Das wolle Santos „bis zu seinem letzten Tag im Amt“ tun, lobt die Jury.
Sicherheitsexperte Adam Isacson vom Forschungsinstitut Washington Office on Latin America (Wola) glaubt, dass der Nobelpreis dem Friedensprozess in Kolumbien noch einmal zusätzlichen Schub verleihen könnte. „Der Nobelpreis hat Óscar Arias 1987 geholfen, als die Reagan-Regierung (in den USA) gegen die Friedensbemühungen in Mittelamerika war“, sagt er. „Die Dynamik könnte jetzt ähnlich sein.“
In Kolumbiens Hauptstadt Bogotá feiern Studenten, die auf dem Bolívar-Platz kampieren und für die Umsetzung des Friedensvertrags demonstrieren. „Wir haben das mit Freude aufgenommen, weil wir immer darum gebeten haben, dass die internationale Gemeinschaft Kolumbien nicht im Stich lässt“, sagt ein Student. „Hoffen wir, dass diese Botschaft dazu beiträgt, dass wir zum Abschluss dessen kommen, was alle Kolumbianer wollen.“ Eine Kommilitonin sagt: „Es gibt wieder Optimismus und der Aufruf an die Kolumbianer ist jetzt noch stärker.“
Fabiola Perdomo, die Witwe eines von den Farc ermordeten Abgeordneten, sagt: „Der Preis ist verdient. Es fühlt sich an, als würden ich und alle Opfer dieses Konflikt auch den Preis erhalten.“ Ex-Polizist Ricardo Lagárraga, der drei Jahre lang in der Gewalt der Rebellen war, meint: „Das stärkt dem Friedensprozess in Kolumbien den Rücken und ist ein Weckruf an jene Gruppen, die daraus eine politische Schlacht machen wollen.“
Doch der Friedensprozess in Kolumbien ist nicht nur dem Präsidenten zu verdanken, warnt die schwedische Außenministerin Margot Wallström nach der Verkündung: „Es gehören zwei zu einem Tango.“ Dass die Jury nicht auch den Chef der linken Farc-Guerilla, Rodrigo „Timochenko“ Londoño, ausgezeichnet hat, ist ungewöhnlich, zumal der Friedenspreis oft an beide Konfliktparteien geht. Andererseits kann Londoño schlecht „belohnt“ werden, weil unter seiner Führung Verbrechen begangen wurden. So betont die Jury in ihrer Begründung, der Preis sei „eine Anerkennung aller Parteien, die zum Friedensprozess beigetragen haben“. Als Preisträger wird Londoño aber nicht geehrt.
Ein Fehler? Die Begeisterung des Farc-Kommandeurs über den Preis hält sich zunächst in Grenzen. „Den einzigen Preis, den wir anstreben, ist der Frieden mit sozialer Gerechtigkeit ohne Paramilitarismus, ohne Vergeltung und Lügen“, twittert Londoño. Später schiebt er eine Gratulation an Santos hinterher. Mit dem Verzicht auf eine Auszeichnung „Timochenkos“ vermeidet das Komitee zumindest heftige Kontroversen. Gerade die Gegner, die zu viele Zugeständnisse kritisieren, hätten sich bei einer Verleihung auch an Londoño in dem Widerstand bestärkt gefühlt.
Die Gretchenfrage an dieser nach der Niederlage beim Referendum doch überraschenden Preisverleihung lautet: Nützt der Nobelpreis oder schadet er beim Ringen um dauerhaften Frieden in Kolumbien? Dass die Farc leer ausgeht, könnte ihre Bereitschaft dämpfen, den Vertrag neu zu verhandeln. Warum sollen sie Zugeständnisse für strengere Strafen machen? Bisher sind maximal acht Jahre Haft für verübte Verbrechen geplant. Und die Gegner des Friedens werden sich auch von einem Friedensnobelpreis nicht umstimmen lassen. Santos wird erst noch sein Meisterstück abliefern müssen - ein Friedensschluss, der hält und von der Mehrheit des Volkes getragen wird. Bleibt zu hoffen, dass der Nobelpreis ihm dafür den nötigen Rückenwind verleiht.