Schäubles Lawinen-Vergleich sorgt für scharfe Kritik
Berlin (dpa) - Mit öffentlichen Zweifeln und einem Lawinen-Vergleich hat Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) den Koalitionsstreit über die deutsche Asylpolitik weiter angeheizt.
Hinzu kam eine massive Intervention aus dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF): Es gebe eine Abkehr von rechtsstaatlichen Prinzipien bei beschleunigten Asylverfahren, beklagten Mitarbeiter.
Schäuble sagte am Mittwochabend in Berlin, die Flüchtlingsbewegung könne sich zu einer Lawine ausweiten. „Lawinen kann man auslösen, wenn irgendein etwas unvorsichtiger Skifahrer an den Hang geht und ein bisschen Schnee bewegt.“ Ob die Lawine schon im Tal angekommen sei oder im oberen Drittel des Hanges, wisse er nicht.
Der Minister löste damit nicht nur viel Widerspruch im Internet aus, sondern auch scharfe Kritik beim Koalitionspartner SPD. Seine Skifahrer-Äußerung wurde teilweise auch so verstanden, als sei sie auf Kanzlerin Angela Merkel gemünzt.
Bundespräsident Joachim Gauck trat „Horrorszenarien für die Zukunft“ entgegen, ohne allerdings Schäuble beim Namen zu nennen. „Es werden Vermutungen geäußert, es werden Stereotype gemacht. Das ist gefährlich“, kritisierte er im Gespräch mit Flüchtlingen und Helfern in Bergisch-Gladbach.
Justizminister Heiko Maas kritisierte Schäuble direkter: „Menschen in Not sind keine Naturkatastrophe.“ Über Twitter schrieb der SPD-Politiker: „Wir sollten die Flüchtlingsdebatte besonnen führen und nicht mit Worten Öl ins Feuer gießen.“ Auch Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel hielt den Lawinen-Vergleich für unpassend. „Ich kann mir das Bild nicht zu eigen machen. Ich würde einen solchen Vergleich nicht wählen.“ SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann nannte Schäubles Äußerung „nicht hilfreich“ und twitterte: „Union muss schnell zur Sacharbeit zurückkehren. Es ist jetzt mal genug.“
Die BAMF-Personalräte beklagten in einem offenen Brief an Amtschef Frank-Jürgen Weise, die „massenhafte Entscheidungspraxis“ bei Syrern, Eritreern, Irakern und Flüchtlingen vom Balkan weise „systemische Mängel“ auf. „Ein hoher Anteil von Asylsuchenden“ gebe eine falsche Identität an, um eine Bleibeperspektive zu haben und die Familie nachholen zu können. „Der Wegfall der Identitätsprüfung erleichtert zudem auch das Einsickern von Kämpfern der Terrormiliz IS.“
Angesichts der Kommunikationsprobleme der schwarz-roten Regierung wird Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Freitag im ZDF Stellung beziehen. In der Sendung „Was nun Frau Merkel?“ soll sie unter anderem beantworten, wie Deutschland die Aufnahme der Asylbewerber bewältigen kann und ob sie an ihrer Willkommenskultur festhält.
Das Bundesinnenministerium musste derweil einräumen, dass es keine Informationen darüber hat, wie viele Flüchtlinge sich derzeit im Land befinden. „Der Bundesregierung liegt keine Gesamtübersicht über die Zahl der in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebrachten Asylsuchenden vor.“ Zudem sei nicht bekannt, wie viele Personen von diesen Einrichtungen auf die Kommunen verteilt wurden, heißt es in einer Antwort auf eine Anfrage der grünen Bundestagsabgeordneten Renate Künast.
SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi sagte dem RBB-Inforadio, angesichts der schleppenden Registrierung sei das „wenig überraschend“. Es sei ein Rätsel, warum Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) trotz entsprechender Beschlüsse noch immer nicht für eine Personalaufstockung beim BAMF gesorgt habe.
SPD-Chef Gabriel kritisierte auch Forderungen der Union nach einem begrenzten Familiennachzug für syrische Flüchtlinge als „Scheindebatte“. Dieses Jahr würden nur 18 000 Familienangehörige nachgeholt. Zugleich betonte er, das Tempo des Flüchtlingsandrangs nach Deutschland sollte verringert werden.
Die geplante Rückführung abgelehnter Asylbewerber nach Afghanistan hält das Auswärtige Amt (AA) laut „Spiegel“ indes kaum für möglich. Das Magazin stützt sich auf einen internen Lagebericht der deutschen Botschaft in Kabul: Dort heiße es, die Ausdehnung der radikal-islamischen Taliban sei heute größer als zu Beginn des Nato-Einsatzes 2001. Dies habe eine „dramatische Erhöhung der Bedrohungslage“ zur Folge. Laut Bericht wird die Gefahr für Leib und Leben in jedem zweiten afghanischen Distrikt als „hoch“ oder „extrem“ eingestuft. Das AA wollte am Donnerstag keinen Kommentar abgeben.