Von Lawinen und Auslösern: Schäuble stichelt

Berlin (dpa) - Wolfgang Schäuble redet an diesem Abend wieder Tacheles und frotzelt in alle Richtungen. Und kommt zwischen Europa und Bankenregulierung auf die Flüchtlingskrise zu sprechen.

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Dabei vergleicht er die Zuwanderung nicht nur mit einer Lawine, womit er all jene bedient, die in der Union auf eine härtere Gangart pochen. Er liefert auch gleich eine Erklärung für den Auslöser einer solchen Naturgewalt mit. Jetzt wird gerätselt, wen er damit meinen könnte. Angela Merkel dürfte sich angesprochen fühlen.

Das Bild von der Lawine platzt aus dem Finanzminister nicht einfach heraus. Der CDU-Politiker formuliert es auf der Veranstaltung der Denkfabrik CEP durchaus mit Bedacht und Fragezeichen. „Ob wir schon in dem Stadium sind, wo die Lawine im Tal unten angekommen ist, oder ob wir in dem Stadium im oberen Drittel des Hanges sind, weiß ich nicht“, sagt er vor den gut 200 Zuhörern. „Wenn wir im oberen Drittel des Hanges sind, ist das Bild von der Lawine eine ziemliche Herausforderung.“

Der erfahrene Politik-Profi und langjährige Minister belässt es aber nicht nur bei dem umstrittenen Lawinen-Bild und der Katastrophen-Metapher, die zumindest im konservativen Flügel der Unionsparteien dankbar aufgenommen werden dürfte. Zumal er die Lawine, deren zerstörerische Kraft alles niederwalzt und mit sich reißt, offensichtlich schon losgetreten sieht. Auch wenn die Bundesregierung bisher offensichtlich nicht einmal genau weiß, wie viele Flüchtlinge überhaupt ins Land gekommen sind.

Mit dem Lawinen-Vergleich setzt sich Schäuble, der auch gern mal zündelt, einmal mehr von Regierungs- und CDU-Chefin Angela Merkel ab. Die ist immer noch um Ausgleich bemüht und bittet auch die eigenen, angesichts der schlechteren Umfrageergebnisse unruhig gewordenen Reihen um Geduld. Schäuble kann sich einen Seitenhieb nicht verkneifen: „Lawinen kann man auslösen, wenn irgendein etwas unvorsichtiger Skifahrer an den Hang geht (...) und ein bisschen Schnee bewegt.“

Natürlich nennt Schäuble keine Namen und spricht natürlich auch nicht von Ski-Fahrerinnen. Das ist wieder einer dieser vieldeutigen typischen Sätze, die der 73-jährige Taktik-Meister gern mal so hinwirft. Nicht immer angreifbar, aber nie ohne Hintergedanken. Man ahnt, wer gemeint sein könnte als „unvorsichtiger Skifahrer“.

Denn nicht Wenige in der Union machen die Kanzlerin dafür verantwortlich, mit ihren Entscheidungen im Sommer und der „Wir schaffen das“-Willkommenskultur die Zuwanderung noch angeheizt zu haben. Schäuble wird die Spekulation über seinen Satz als Quatsch und Unterstellung abtun. Zumal er weiß, dass Merkel ja Ski-Langläuferin ist. Die lösen in der Regel keine Lawinen aus.

So befeuert Schäuble - gewollt oder ungewollt - die Debatte über seine aktuelle Rolle. Und die seit Wochen durch Berlin wabernden Verschwörungstheorien, wonach der Finanzminister als Galionsfigur der Konservativen bei wachsendem Unmut in der Union und einem möglichen Abgang Merkels das Kanzleramt übernehmen könnte.

Bei seinen Kritikern löst Schäuble einen Sturm der Empörung aus. Die sprechen von einer Entgleisung. Flüchtlinge dürften nicht mit Naturkatastrophen verglichen werden. Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel meint: „Ich kann mir das Bild nicht zu eigen machen. Ich würde einen solchen Vergleich nicht wählen.“ Justizminister Heiko Maas (SPD) attackiert den Kassenwart per Kurznachrichtendienst Twitter: „Menschen in Not sind keine Naturkatastrophe.“

Selbst Bundespräsident Joachim Gauck meldet sich zu Wort - aber ebenfalls, ohne Namen zu nennen. Er warnt vor „Horrorszenarien“: „Sie entmächtigen uns.“ Sie suggerierten, dass man nicht in der Lage sei, auf die Herausforderungen zu reagieren. In sozialen Netzwerken ist Schäuble da bereits als Aufwiegler in die Ecke von Fremdenfeinden gestellt - zusammen mit der rechtskonservativen AfD.