„Wirtschaftsweise“ in Flüchtlingskrise gelassen

Berlin (dpa) - Deutschland kann die Aufnahme und Versorgung der Flüchtlinge nach Ansicht der „Wirtschaftsweisen“ finanziell stemmen. Die bisher absehbaren Ausgaben seien verkraftbar, die deutsche Wirtschaft könnte profitieren.

„Wirtschaftsweise“ in Flüchtlingskrise gelassen
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„Das kann Deutschland schultern - im Augenblick“, sagte der Vorsitzende des Beratergremiums, Christoph Schmidt, in Berlin bei der Vorlage des Jahresgutachtens. Dies setze aber voraus, dass der Flüchtlingsstrom zurückgehe. Die Regierungsberater fordern niedrigere Hürden für eine Beschäftigung. So sollten für Flüchtlinge beim Mindestlohn Ausnahmen gelten.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte, die Bundesregierung werde versuchen, die Herausforderungen „gut zu bewältigen“. Dank der relativ robusten Wirtschaft könnten diese besser gestemmt werden: „Wir wissen aber natürlich auch, dass das noch keine Sicherheit für die Zukunft bedeutet.“

Der Sachverständigenrat geht 2015 von einem Wirtschaftswachstum für Deutschland von 1,7 und für 2016 von 1,6 Prozent aus. Konjunkturelle Impulse durch die Flüchtlinge - etwa durch mehr Nachfrage und Wohnungsbau - seien eher gering. Das zusätzliche Plus bei der Wirtschaftsleistung dürfte weniger als 0,1 Prozentpunkte betragen.

Der Mindestlohn von derzeit 8,50 Euro je Stunde dürfte für viele Flüchtlinge eine hohe Barriere für Jobs darstellen. Von einer Erhöhung sei abzuraten. Anerkannte arbeitsuchende Flüchtlinge sollten von Beginn an als Langzeitarbeitslose gelten. Die Ausnahme vom Mindestlohn für Langzeitarbeitslose in einer neuen Beschäftigung sollte von sechs auf zwölf Monate verlängert werden.

Praktika sollten zumindest bis zu einer Dauer von zwölf Monaten vom Mindestlohn ausgenommen werden. Ein nach Alter gestaffelter Mindestlohn könnte die Eintrittshürde für junge Erwachsene senken. Durch die Zuwanderung steige zudem die Nachfrage nach Wohnraum. Daher müssten private Investitionsanreize für den Wohnungsbau gestärkt und die Mietpreisbremse wieder abgeschafft werden.

Der DGB wies den Vorstoß zum Mindestlohn zurück. Die Vorschläge öffneten Missbrauch Tür und Tor. Damit würde das gesamte Lohngefüge nach unten abrutschen. Die Ausnahmeregelung habe so gut wie keinem Langzeitarbeitslosen geholfen. Auch der „wieder aufgebrühte“ Vorschlag einer Differenzierung nach Alter würde Mindestlohnbezieher erster, zweiter und dritter Klasse schaffen. Auch SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil warnte davor, falsche Schlüsse in Bezug auf den Mindestlohn zu ziehen: „Niemand sollte versuchen, die Flüchtlingsdebatte für Lohndrückerei auszunutzen!“

Michael Schlecht von den Grünen nennt die Forderungen der Ökonomen wenig hilfreich: „Die Abschaffung der Mietpreisbremse, der Erhalt des Missbrauchs von Werkverträgen und Leiharbeit, das Einfrieren der Höhe des Mindestlohns und die Einführung von TTIP sind nicht zukunftsweisend, sondern schädlich.“ Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Grünen-Fraktion, Kerstin Andreae, forderte die Kanzlerin auf, ein Bündnis für Integration zu schmieden: „Wir brauchen flexible, rechtssichere und lebensnahe Lösungen.“ Schnelle und passgenaue Qualifizierung sei der Dreh- und Angelpunkt.

Die „Wirtschaftsweisen“ erwarten direkte Ausgaben der öffentlichen Hand für die Flüchtlingsmigration von 5,9 Milliarden bis 8,3 Milliarden Euro in diesem sowie zwischen 9,0 Milliarden und 14,3 Milliarden Euro im nächsten Jahr - je nach Szenario: „Angesichts der guten Lage der öffentlichen Haushalte sind diese Kosten tragbar.“

Steuererhöhungen sind aus Sicht des Freiburger Ökonomen Lars Feld zum gegenwärtigen Stand nicht erforderlich. Der Bund dürfte seine „Schwarze Null“ - einen Haushalt ohne neue Schulden - 2016 halten. Es gebe keine finanzielle Schieflage - was auch in ihrer Gesamtheit für Länder und Kommunen gelte. Die angesammelten Puffer seien enorm.