SPD-Vize im Interview Scholz vor GroKo-Verhandlungen: „Niemand braucht Trophäen“

Hamburg (dpa) - Kurz vor den Verhandlungen der Spitzen von CDU/CSU und SPD hat Hamburgs Regierungschef Olaf Scholz alle Beteiligten bei ihren Forderungen zur Zurückhaltung aufgerufen.

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„Es wäre nicht klug, in dieser Phase rote Linien zu ziehen oder Punkte für unverhandelbar zu erklären“, sagte der stellvertretende SPD-Vorsitzende in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur in Hamburg. Darin äußerte er sich auch über Fragen der Integration, die Nachteile einer GroKo und zur Frage einer Neuwahl.

Frage: Deutschland scheint auf eine Neuauflage der großen Koalition zuzusteuern. Was halten Sie nach all den Turbulenzen der vergangenen Tage und Wochen davon?

Antwort: Abwarten. Deutschland hat schon drei große Koalitionen gehabt, das kommt also immer mal wieder vor. Gleichzeitig ist völlig klar: Große Koalitionen sind kein Dauerzustand, weil sie fast unvermeidlich dazu führen, dass die politischen Kontroversen nicht mehr zwischen den beiden Parteien im Zentrum der Republik geführt werden, sondern zwischen der politischen Mitte und den Rändern. Jetzt sind sogar zwei populistische Parteien im Deutschen Bundestag, das macht es noch schwerer. Herrn Gauland von der AfD als Oppositionsführer mag sich niemand so recht vorstellen.

Frage: Bürgerversicherung, Mindestlohn, Familiennachzug für bestimmte Flüchtlinge - viele SPD-Forderungen werden von der Union schon jetzt abgeschmettert. Wie wollen Sie so die Zustimmung der Basis für eine GroKo bekommen, welche „Trophäen“ braucht es?

Antwort: Niemand braucht Trophäen. Es wäre nicht klug, in dieser Phase rote Linien zu ziehen oder Punkte für unverhandelbar zu erklären. Daran sind die Jamaika-Verhandlungen gescheitert. Deshalb tut die Sozialdemokratische Partei das nicht, und - wenn ich das richtig sehe - tun das auch die Verantwortlichen in der Union nicht. Vor der Wahl haben wir Programme verfasst, in denen wir unsere Vorstellungen für die Zukunft unseres Landes niedergelegt haben. Entlang dieser Programme werden wir jetzt sprechen.

Frage: Was muss am Ende der Gespräche von Union und SPD stehen, damit es wieder zu einer GroKo kommt?

Antwort: In den Gesprächen muss sich zeigen, ob das gegenseitige Vertrauen ausreicht und die Beteiligten ein gemeinsames Verständnis dafür entwickeln, was für Deutschland jetzt nötig ist.

Frage: Die SPD will, dass der bis März ausgesetzte Familiennachzug bei Flüchtlingen wieder möglich sein soll. Für die CSU eine rote Linie. Wie kann eine Einigung aussehen?

Antwort: Eine Einigung wird auf alle Fälle nicht dadurch erleichtert, wenn der Streit über die Medien ausgetragen wird. Aus meiner Sicht ist dies ein Aspekt eines viel größeren Themas: Nämlich wie wir mit den Integrationsanforderungen umgehen, die aus der großen Zuwanderung von Flüchtlingen 2015 und 2016 folgen.

Frage: Und zwar?

Antwort: Die Integration wird gelingen, wenn alle, die hier aufwachsen, eine gute Schulausbildung erhalten, wenn alle die deutsche Sprache sprechen und wenn jeder Erwachsene seinen Lebensunterhalt durch eigene Anstrengung verdient. Dafür bedarf es weiterer Integrationsbemühungen. Und wir müssen viele Regelungen von Bund, Ländern und Gemeinden verlängern, die bislang zeitlich befristet sind.

Frage: Sonderparteitag, Mitgliederentscheidung, womöglich ein neuer Wahlkampf - bekommt die SPD ein Finanzproblem?

Antwort: Nein, die SPD ist in jeder Situation finanziell in der Lage, einen Wahlkampf zu organisieren.

Frage: Für den Fall eines Scheiterns der Gespräche: Wie bereitet sich die SPD auf mögliche Neuwahlen vor?

Antwort: Im Augenblick bereiten wir uns auf Gespräche vor, ob und wie eine Regierungsbildung in Deutschland möglich wird. Solche Gespräche führen wir nicht, um sie von vornherein scheitern zu lassen.

ZUR PERSON: Olaf Scholz ist seit 2011 Bürgermeister von Hamburg. Der 59-Jährige gilt als starker Verhandler und soll in den Gesprächen von Union und SPD über eine Neuauflage der großen Koalition ein gewichtiges Wörtchen mitreden. Zuletzt musste der frühere Bundesarbeitsminister aber einen Dämpfer hinnehmen, als er beim SPD-Bundesparteitag mit nur 59,2 Prozent als Vize bestätigt wurde.